DIE VIER VON DER BAKER STREET „besuchen“ ein Museum

Im Januar haben sich DIE VIER VON DER BAKER STREET  ja bereits einen ersten Blogpost als jüngstes Detektivteam der viktorianischen Epoche verdient. Zu diesem Zeitpunkt war der neueste Band der Reihe bereits angekündigt und ist nun ganz frisch im Splitter-Verlag erschienen. Grund genug, dieses Album – Vorsicht: Kalauer! – genauer „unter die Lupe“ zu nehmen. Ladies, Gentlemen, wenden wir uns der Geschichte zu:

London, 1895. Für die Vier von der Baker Street ist die Lage ernst! Um ihren jüngsten Rekruten Puck aus den Fängen eines alten Feindes zu retten, sieht sich Black Tom gezwungen, seine Arbeit als Einbrecher wieder aufzunehmen. Im Auftrag von Patch, dem schrecklichen König des Armenviertels im East End, muss er ins unheimliche Schwarze Museum im Herzen von Scotland Yard einsteigen. Dort bewahrt die Londoner Polizei ihre wertvollsten Stücke auf… [1]

Mit dem zehnten Band von „Die Vier von der Baker Street“ gibt es aktuell ein weiteres Abenteuer von Billy, Charlotte / Charlie, Black Tom und dem Kater Watson, dass auf den bisherigen Bänden aufbaut, aber trotzdem als eigenständiges Werk gelesen werden kann. Wir treffen Personen wieder, die wir bereits in Band 7 – „Die Moran Affäre“ kennengelernt haben: Zum einen ist da Jakob Pukatz, genannt Puck, ein Junge, der ebenfalls als Freischärler auf den Straßen Londons unterwegs ist und Scabs, ein Ire, der zu einer Art Nachfolger von Bloody Percy wurde und der sich am Ende von Band 7 einen Hund zugelegt. Mit Puck hat er noch eine Rechnung offen.

Deshalb verwundert es auch nicht, dass er sich nur zu gerne vom König der Bettler einspannen lässt, um Puck zu entführen, damit der König Tom zu einem Einbruch erpressen kann. Aber nicht irgendein Einbruch: Tom soll in den Keller von Scotland Yard einsteigen, um dort einen Originalbrief von Jack, the Ripper, zu entwenden, den der König der Bettler an einen Auftraggeber verkaufen will. Billy, Charlie und Watson sollen sich raus halten, da Tom aus eigener Erfahrung weiß, wie gefährlich Patch für Leib und Leben seiner Freunde werden kann. Während er den Einbruch begeht, folgt Charlie Scabs um herauszufinden, wo er Puck versteckt hält. Gemeinsam mit Billy schmiedet sie einen Plan, um Puck zu befreien.

Die Story klingt vielversprechend. Doch die tatsächliche Erzählung wirkt weitestgehend oberflächlich und das Szenario macht es sich leider in einigen Fällen viel zu einfach (Achtung Spoilerwarnung!). Der Einbruch geschieht im ersten Drittel, aber der Austausch von Puck gegen das Diebesgut misslingt und im weiteren Verlauf geht es darum, der Beziehung zwischen dem König der Bettler und Black Tom zu folgen.

Der Einbruch in den Keller von Scotland Yard läuft glatt, viel zu glatt. Gut, hier wollen Jean-Blaise Dijan und Olivier Legrand die herausragenden Fähigkeiten von Tom vorführen. Aber ernsthaft. In den gängigen Hustle-Filmen wie „Ocean’s Eleven“ braucht es jeweils ein ganzes, spezialisiertes Team, einen ausgeklügeltem Plan und Vorab-Oberservierung um einen Bruch erfolgreich durchzuführen. (Ja, o.k., es sind andere Zeiten mit ausgeklügelterer Technik und nicht das viktorianische Steam-Punk-Umfeld, geschenkt!) Währenddessen steigt Tom aber einfach über den Zaun, klettert ungesehen an der Fassade bis aufs Dach, um von dort aus – mit einem Glasschneider bewaffnet – durch ein Giebelfenster einzusteigen und durch das gesamte Objekt zurück in den Keller zu gelangen. Ohne dabei gesehen zu werden?

Er trifft dabei zwar auf ein paar Wachen. Aber so unaufmerksam wie die sind, hätte eine ganze Diebesbande einsteigen und den Keller für den König der Bettler komplett ausräumen können. Das wäre zum Einen ein gutes Geschäft gewesen und zum Anderen die Blamage schlechthin für den so gehassten Yard. Hier passen die geweckte Erwartungen an ein hochgesichertes Polizeigebäude und die vorgefundene Realität überhaupt nicht zueinander.

Ein zweiter Kritikpunkt ist die Befreiung von Puck durch Charlie, Billy und einige weitere Freischärler. Durch die Erkundung von Charlie ist klar, wo Puck festgehalten wird und dass Scabs seine kampferprobte und abgerichtete Dogge Ripper zur dessen Bewachung zurückgelassen hat. Der Hund – „von der nervösen Sorte“ – wird im Zuge der lauten, mit viel Radau durchgeführten Rettungsaktion von einem mit Schlafmittel präparierten Stück Fleisch abgelenkt und außer Gefecht gesetzt. Einfach so, weil man als Kampfhund natürlich verfressen ist und Prioritäten setzen muss.

Ein letzter Punkt. Der König der Bettler ist am Ende tot. Tot, weil er einer direkten Auseinandersetzung mit Dr. Watson (dem echten) und den Vier von der Baker Street ausweicht und weil es Black Tom gelingt, seine Untergebenen gegen ihn aufzuhetzen. Jemand, der seine Herrschaft jahrelang mit Angst und Schrecken aufrecht erhält, ist plötzlich so schwach, weil ihm gerade erst sein jüngsten „Justizminister“ abhanden gekommen ist? Unwahrscheinlich.

Wo ist die Stärke dieses körperlich großen und schweren Mannes geblieben? Wo sind seine Grausamkeit, seine Boshaftigkeit und seine Gewissenlosigkeit, die er hatte, als er sich die Position „erarbeitet“ hat? Menschen wie er überleben nicht, wenn sie nicht schlauer sind, rücksichtsloser und verschlagener. Sie kennen ihr Terrain und haben für den Fall der Fälle einen Fluchtplan. Hier wäre es besser gewesen, wenn er verschwunden wäre, um auf Rache sinnend in einem späteren Band zurückzukehren.

Zeichnerisch ist das Niveau von David Etien konstant geblieben. Und trotzdem ist die Zusammenstellung der Panels und der Perspektiven weniger abwechslungsreich geworden. Zu Beginn des Bandes habe ich mich auch gefragt, was Charlie hier mit Puck zu schaffen hat, bis mir klar wurde, dass es sich bei der gezeigten Person um ein jungen Frau in Kleidern handelt (sein Schwester). Am Design des Gesichts und der Haare konnte ich es auf den ersten Blick nicht erkennen. Dafür sind sich die Beiden dann doch zu ähnlich.

Und damit komme ich zu einem weiteren Kritikpunkt. Nach zehn Bänden, mit immer wieder auftretenden – aber auch neuen – Figuren, fühlt sich das Charakterdesign bei den kindlichen und jugendlichen Nebenfiguren zu eintönig an. Die Erwachsenen haben Ecken und Kanten und sind aufgrund äußerlicher Merkmale gut unterscheidbar. Die Jugend nicht. Die Gesichter sind überwiegend kindlich „rund“, pausbäckig. Ihnen fehlen in vielen Einstellungen eindeutige Erkennungsmerkmale, wie spezielle Frisuren (aber hierfür sind natürlich die in den Außenbereichen getragenen Kopfbedeckungen mit verantwortlich) oder Narben, die auf der Straße erworben worden sind.

Scabs ist mit seinem roten Haar, seinem Hut und seiner Zahnlücke von den anderen gut zu unterscheiden. Aber er gehört auch schon eher in den
Erwachsenen-Kanon der Serie und nicht mehr zu den Jugendlichen.

Vielleicht liegt es auch an der Farbgebung, die mit ihren braunen, grauen und schwarzen Tönen die Kohle-geschwängerte Luft der Großstadt des  viktorianischen Zeitalters widerspiegelt. Vielleicht war es David Etien aber auch einfach zu viel.

Die Serie hat sich über die Jahre etabliert, vor allem über gute Handlungen und die Verbindungen der einzelnen Charaktere untereinander. Mittlerweile ist die Charakterentwicklung aber zu einem Stillstand gekommen. Black Tom bleibt der einsame Wolf, Charlie (bzw. Charlotte) ist ein helles Köpfchen mit Moral und Billy lässt sich seit geraumer Zeit von Sherlock Holmes als Page ausbilden und übernimmt Spezialaufträge. Das Konzept ist / war gut, stößt aber inzwischen erzählerisch an seine Grenzen. Die Motivation unserer Protagonisten ändert sich nicht. Es findet keine echte Figurenentwicklung statt.

Selbst die Gefahren, die (vermeintlich) von Patch und seinen Kumpanen ausgehen, lassen keine wirkliche Spannung aufkommen. Denn – um es mit Oscar Wilde zu sagen – wird am Ende ja alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende. Holmes und Watson sind sakrosankt. Ihnen wird nichts geschehen. Billy, Charlie, Tom und der Kater sind die Titelfiguren. Hier müsste schon eine andere, wirklich interessante Figur neu eingeführt werden, die eine(n) von ihnen ersetzen könnte um den Titel „Die Vier von …“ beizubehalten. Daher besteht auch für sie niemals eine echte Gefahr.

„Das schwarze Museum“ ist kein schlechter Comic. Er ist solide, aber im Vergleich zu den glanzvollen Vorgängern der Serie ist er fast schon eine Enttäuschung. Die Geschichte bleibt relativ flach. Fans der Reihe werden sich sicherlich freuen, die bekannte und liebgewonnenen Charaktere wiederzusehen. Aber mittlerweile fehlt es an Esprit, es fehlen Funken.

Was in den ersten Bänden noch für echte Überraschungen sorgte, fühlt sich nun wie eine Pflichtübung an. Wer auf tiefgründige Rätsel, spannende Entwicklungen und visuelle Highlights gehofft hatte, wird hier eher enttäuscht werden. Sogar in weiträumigen Aktion-Szenen bleibt das Visuelle / das Paneling starr, eng und nicht dynamisch.

Vielleicht wäre es Zeit für einen Abschlussband. Einen, der uns zehn Jahre in der Zukunft mitnimmt und uns zeigt, was aus den lieb gewonnenen Vieren geworden ist (ja, auch Katzen können alt werden). Damit käme vielleicht noch einmal eine gewisse Unvorhersehbarkeit zurück, was der Reihe an diesem Punkt ihrer Entwicklung wirklich gut tun würde.


DIE VIER VON DER BAKER STREET – Das Schwarze Museum -Band 10 der Reihe

© Splitter-Verlag | Hardcover | 56 Seiten | Farbe
Storyline:  ★★★☆☆
Zeichnungen:  ★★★☆☆
Lettering:  ★★★☆☆
Humor:  ★☆☆☆☆
Meine persönliche Bewertung: ★★★☆☆
ISBN: 978-3-96792-194-6
Informationen zu den Bildrechten findest Du hier.
[1] Verlagsbeschreibung

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