Letztens habe ich geträumt, dass ich fliege. Ich schwebte durch die Straßen meiner Stadt, schwerelos und frei. Einen Antrieb brauchte ich nicht. Ich war wie ein Vogel, der auf den Luftströmen reitet und in die Straßenschluchten hinab-, aber auch in den blauen Himmel hinaufsteigen konnte. Mühelos.
Wenig später stieß ich auf SKYWARD von Joe Henderson (Szenario) und Lee Garbett (Zeichnungen), der bei Image Comics erschienen ist und war sofort fasziniert. Und das Beste: für den deutschsprachigen Raum hat sich Dani Books die Rechte gesichert. Und anders als Sony Pictures, die sich 2018 die Filmrechte eingekauft und dann aber keine Neuigkeiten mehr über eine geplante Veröffentlichung verlautbart haben, hat sich der Kleinverlag aus Groß-Gerau an die Arbeit gemacht.
Die eigentliche Handlung von SKYWARD setzt 20 Jahre nach einem katastrophalen Ereignis ein, dem sogenannten „G-Day“, an dem die Schwerkraft abrupt und drastisch nachlässt. Seither müssen die Menschen in einer neuen Realität überleben, in der ein einziger falscher „Schritt“ sie buchstäblich in endlose Höhen treiben kann. Innerhalb von Gebäuden ist die Gefahr gering, solange Fenster und Türen geschlossen sind. Außerhalb dieser sicheren Zonen helfen Sicherungsleinen, um sich zu „erden“. Und falls doch einmal etwas schief geht, hilft es, sich an den vorhandenen Gebäuden, Antennen oder Hilfsleinen festzuhalten. Wer allerdings von festen Bauwerken abgetrieben wird …
Auch sonst ist Einiges anders. Die Schwerkraft dieser Welt ist z.B. noch vorhanden, aber so gering, dass wir an Bilder aus einer Raumstation erinnert werden. Flüssigkeiten aus Wasser, Schweiß und Tränen treiben in Bubbles durch die Luft. Schusswaffen sind aus der Mode gekommen, weil das dritte Newtonsche Gesetz besagt, dass, wann immer eine Kraft wirkt, auch eine gleichgroße Kraft in entgegengesetzte Richtung wirkt. Sprich, wer schießt, wird – mehr oder weniger unkontrolliert – in die Gegenrichtung katapultiert.
Während einige sich mit den neuen Umständen arrangiert haben, gibt es andere, die versuchen, die alte Ordnung wiederherzustellen – oder dies zu verhindern, da sie sich die bestehende für ihre eigenen Zwecke zu Nutze und finanziell einträglich machen.
Im Mittelpunkt steht Willa Fowler, eine junge Frau, die kurz vor dem G-Day geboren wurde und die in dieser schwerelosen Welt aufgewachsen ist. Für sie ist ihre Welt selbstverständlich und sie erlebt sie mit einer Mischung aus Begeisterung und Naivität. Wie alle jungen Menschen möchte sie mehr von der restlichen Welt sehen als immer nur ihr Chicago der oberen Etagen. Und damit fängt der Ärger an.
Ihr Vater, einst ein Wissenschaftler mit bahnbrechenden Theorien, kennt möglicherweise einen Weg, die Schwerkraft wiederherzustellen – sein Apartment hat er aber seit Jahren nicht verlassen. Um seine Einwilligung für ihren Ausflug außerhalb der Stadt zu erlangen, macht sich Willa auf die Suche nach Verbündeten und trifft einen alten Bekannten ihres Vaters, Roger Barrows.
Dieser hat ein Vermögen mit der Schwerelosigkeit gemacht und erkennt die Gefahr für seine Geschäfte, als Willa ihm erzählt, dass ihr Vater noch lebt. Denn auch in dieser Welt gibt es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: die ärmeren Schichten, die – wie Äffchen früher in den Bäumen – in den oberen Etagen der Metropolen leben und die sich mit Muskelkraft durch den freien Raum bewegen. Sie trotzen dabei immer der Gefahr, nach einem Fehlgriff in sauerstoffarme Höhen zu entschwinden und – unerreichbar für alle anderen – zu sterben.
Währenddessen leben in den Straßen weit unten die Privilegierten, die sich modische, von Roger Barrow gestaltete Magnetstiefel für zehntausende Dollar leisten können. Sie leben weiter, als sei vor zwanzig Jahren nichts geschehen. Und Roger Barrows hat viel zu verlieren.
Der Comic entfaltet sich in Episoden, wobei jede Ausgabe sowohl für sich funktioniert als auch auf den übergeordneten Plot hinarbeitet. Die Cliffhanger sind effizient platziert und sorgen für konstante Spannung.
Der allmähliche Ausbau der Welt ist gelungen: Die Leser werden schrittweise in neue Facetten der Schwerelosigkeit eingeführt, sei es durch Details im Hintergrund oder durch actionreiche Szenen, die das physikalische Konzept kreativ ausnutzen.
Der Spannungsbogen folgt dabei einer klassischen Heldenreise. Willa beginnt als sorglose Abenteurerin, wird jedoch im Laufe der Handlung mit düsteren Wahrheiten konfrontiert und muss im Zuge der drei Bände schließlich über sich hinauswachsen. Sie ist zweifellos das Herzstück des Comics. Ihre Energie, ihr Witz und ihr Tatendrang machen sie zu einer mitreißenden Protagonistin.
Für Willa ist Schwerelosigkeit kein Problem, sondern eine Selbstverständlichkeit – und ihre Begeisterung überträgt sich auf den Leser. Ihre Interaktionen mit anderen Figuren verleihen der Geschichte emotionale Tiefe, insbesondere die mit ihrem traumatisierten Vater, der sich entschieden hat, am G-Day seine Tochter statt seine Frau Lilly zu retten, und den skrupellosen Antagonisten des Plots, die ihre Ziele gnadenlos verfolgen.
Von Joe Henderson kennt man vor allem seine Drehbucharbeiten, und sein Sinn für filmisches Erzählen zeigt sich auch in SKYWARD. Die klare Plotstruktur und das Gespür für Dialog getriebene Szenen deuten auf seine Erfahrung in der TV-Branche hin.
Er ist bekannt für seine Arbeit an der TV-Serie ‚Lucifer‘ und schafft es, das Tempo der Geschichte geschickt zu variieren. Actionreiche Sequenzen wechseln sich mit ruhigen, emotionalen Momenten ab, wodurch sich eine mitreißende Dynamik ergibt. Dennoch ist die Story nicht ohne Schwächen: Manche Wendungen sind vorhersehbar, einige Nebenfiguren bleiben vergleichsweise blass. Doch insgesamt gelingt es Henderson, eine Welt mit Potential zu entwerfen, die mit jeder Seite neugierig macht.
Lee Garbett hingegen hat bereits mit ‚Loki: Agent of Asgard‘ bewiesen, dass er ein Talent für dynamische, charismatische Figuren hat – etwas, das in SKYWARD noch stärker zur Geltung kommt. Er liefert hier eine visuelle Umsetzung, die die Leichtigkeit und das Freiheitsgefühl der Schwerelosigkeit perfekt einfängt. Seine Zeichnungen sind dynamisch und fließend – Charaktere schweben durch die Panels, Bewegungen wirken elegant und mühelos. Dies verleiht den Actionsequenzen eine einzigartige Ästhetik, die sich von klassischen Comics mit Bodenhaftung abhebt.
Besonders gut gefallen hat mir Garbett’s Fähigkeit, Vertikalität als erzählerisches Mittel einzusetzen. Während andere Comics oft horizontal arbeiten, nutzt SKYWARD die gesamte Höhe der Seite: Figuren treiben nach oben, Gebäude erscheinen endlos, und der Himmel wird zu einem ebenso bedrohlichen wie faszinierenden Element. Diese bewusste Kompositionsstrategie verstärkt die Wirkung der neuen physikalischen Gesetze auf die Erzählung.
Die Farbgebung von Antonio Fabela trägt ebenfalls zur besonderen Atmosphäre bei. Die Palette ist leuchtend und farbenfroh, was der postapokalyptischen Welt einen unerwartet positiven Grundton verleiht. Statt trostloser Dystopie präsentiert sich eine Welt voller Möglichkeiten – ein Ansatz, der erfrischend und originell ist.
Innerhalb des Science-Fiction-Genres nimmt der Comic eine interessante Position ein. Anders als düstere Zukunftsvisionen à la Ridley Scott’s Blade Runner oder Katsuhiro Otomo’s Akira setzt er auf eine optimistischere Grundstimmung und erinnert damit eher an Werke wie Saga von Brian K. Vaughan und Fiona Staples, die ebenfalls eine emotionale Coming-of-Age-Geschichte in einem originellen Setting erzählen.
SKYWARD ist ein Comic, der mit einer faszinierenden Prämisse neugierig macht und sie visuell brillant umsetzt. Die Schwerelosigkeit wird nicht nur als erzählerisches Gimmick genutzt, sondern tief in die Story und das World building integriert. Die Charaktere, allen voran Willa, sind sympathisch und treiben die Handlung mit Charme und Entschlossenheit voran.
Dennoch gibt es Kritikpunkte: Einige Story-Elemente sind zu vorhersehbar. Außerdem bleibt die Charakterisierung einiger Nebenfiguren eher oberflächlich. Widersacher wie Roger Barrow, ein Unternehmer mit eigenen Plänen für die Schwerkraft, erfüllen zwar ihre Funktion als Antagonisten, wirken aber stellenweise eindimensional. Eine Nuancierung der Motive hätte zu einem noch intensiveren Konflikt beitragen können. Außerdem werden manche Konflikte für meinen Geschmack etwas zu schnell aufgelöst. Auch ist der Tod von Lilly, Willa’s Mutter, einer durchtrainierten jungen Frau, die es nicht schafft, sich an einem stabilen Mast festzuhalten, unglaubwürdig.
Wer nach einem frischen Science-Fiction-Comic mit einer starken Heldin, innovativem World building und dynamischer Bildsprache sucht, sollte SKYWARD definitiv eine Chance geben. Die Kombination aus kreativer Prämisse, emotionaler Story und innovativer Grafikperspektive macht den Comic für mich zu einem persönlichen Highlight im modernen Sci-fi-comic-Genre.
P.S. Als Add-on erhalten alle Käufer des Buchs beim Dani Books Verlag zusätzlich eine kostenlose Digital Copy im PDF-Format.
UPDATE 28.04.2025: Aktuell scheint sich die Auslieferung der Bände durch DaniBooks zu verzögern. Ein konkreter Veröffentlichungstermin konnte leider nicht ermittelt werden. Das Original ist bei Image Comics erschienen.
SKYWARD – Band 1 – Mein schwereloses Leben
© Dani Books | Paperback | 136 Seiten | Farbe
Storyline: ★★★★☆
Zeichnungen: ★★★★☆
Lettering: ★★★★☆
Humor: ★★★☆☆
Meine persönliche Bewertung: ★★★★☆
ISBN: 978-3-95956-161-7
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