EINE – etwas andere – WEIHNACHTSGESCHICHTE

 

Scrooge hält das Weihnachtsfest für ausgemachten Blödsinn. „Humbug“ heißt es im englischen Original. Sprechen wir über Ebenzer Scrooge? Nein, diesmal nicht. In dieser Geschichte ist es Elisabth Scrooge, die im viktorianischen London ihren Geschäften nachgeht und ihr Geld zusammenhält. Sie ist schön, groß und schlank. Hier enden die Unterschiede aber auch schon: die Eiseskälte ihres Herzens teilt sie mit ihrem Namensvetter aus „A Christmas Carol“.

Weder ihr leiderprobter Angestellter Chrachit noch ihre Nichte Friedrike können sie vom Gegenteil überzeugen – bis sie am heiligen Abend vom Geist Ihres verstorbenen Geschäftspartners Marley heimgesucht wird. Bis dato fast alles wie gehabt. Marley kündigte Scrooge die drei Geister der Weihnacht an. Ob diese die verbitterte Antiheldin noch im alten Jahr in einen guten Menschen verwandeln können oder droht ihr die ewige Verdammnis?

Anders als ihr männliches Pendant in Dickens‘ Orginalgeschichte ist Elisabeth eine moderne Frau, die im viktorianische England des Jahres 1843 „ihren Mann steht“ und dafür keineswegs bewundert wird. Im Gegenteil. In einer Zeit, in der Frauen in England noch kein Wahlrecht besitzen (dafür kämpfen die Suffragetten erst Anfang des kommenden Jahrhunderts), ist ein Vermögen entweder ererbt und bewahrt oder mit harten Bandagen erkämpft. Diese Elisabeth kommt nicht aus reichem Hause. Sie hat es sich gegen alle Widrigkeiten in einer Männerwelt erkämpften müssen und verteidigt es gegen alle Versuche, es ihr wegzunehmen. Das Elend der Armen hat sie Tag für Tag vor Augen. Sie weiß was es bedeuten würde, als mittellose Frau in dieser Zeit überleben zu müssen.

Der Spanier Jose Luis Munuera, der u.a für seine Comicserien „Spirou und Fantasie“ und „Zyklotrop“ bekannt ist, erzählt den Weihnachtsklassiker von Charles Dickens neu und mit einer weiblichen Note, was der Geschichte einen schönen Twist gibt und ihr gut tut. Seine Bilder sind – bis zum Schluss – zeitgemäß düster, in rauchgeschwängertem Blaugrau und nur von einzelnen Lichtern beleuchtet, aber selten erleuchtet. Den Farben von Seydas sei Dank.

Die Geister der vergangenen und der aktuellen Weihnacht bringen ein wenig Licht in das emotionale Dunkel dieser Zeit. Sie nehmen Scrooge mit auf eine Reise zu den Werten jenseits des monetären Reichtums, zu Familie, zu Gemeinschaft und zur Freude durch Lachen. Der letzte Geist jedoch, groß und dunkel wie die ungewisse Zukunft, an deren Ende nur der eigene Tod steht, konfrontiert Scrooge mit der eigenen Sterblichkeit und bewirkt letztendlich einen Sinneswandel. Nicht, wie in der Urspungserzählung. Wie schreibt Dominique Barberis im Vorwort: „Elisabeth entwickelt sich am Ende des Märchens weiter, weigert sich aber, sich selbst zu verleugnen“! Sie hat die Augen offen, behält aber ihre spitze Zunge und verwendet einen Teil ihres Vermögens, um anderen als anonyme Wohltäterin zu helfen. Wo käme man / Frau schließlich auch hin, wenn die Plage Londons, die Armen, von ihrem Sinneswandel erführen. Sie stünden doch alle vor ihrer Tür. NEIN DANKE! Niemand bekommt etwas geschenkt. Jede(r) muss sich in ihren Augen anstrengen und niemand verdient Almosen.

Elisabeth Scrooge ist tough und mit ihrer Art würde sie auch gut in unser Jahrhundert passen. Und wer weiß? Vielleicht besuchen auch in diesem Jahr drei Geister die Eine oder den Anderen zu Weihnachten, um diese Person auf den rechten Weg zu begleiten.

Szenario Charles Dickens, überarbeitet und gezeichnet von Jose Luis Munuera mit Farben von Seydas

Eine Weihnachtsgeschichte

© Carlsen-Verlag | Hardcover | 79 Seiten | Farbe
Storyline: ★★★★★
Zeichnungen: ★★★★★
Lettering:  ★★★★☆
Meine persönliche Bewertung: ★★★★★
Informationen zu den Bildrechten findest Du hier.

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