ODAWAA – Ein Abgesang auf den Krieg

Innenseite 1 von DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA

Im Comic DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA sind die Zeiten düster. In Europa tobt ein Krieg. Ein Krieg, den sie später „Weltkrieg“ nennen werden. Den ersten. Aber das wissen die Menschen noch nicht.

In den Schützengräben des Stellungskrieges von Verdun stirbt eine ganze Generation junge Männer, die zuvor mit Hurra-Patriotismus ‚gen Westen gezogen war. Mit ihnen stirbt die Menschlichkeit, die Freude und vielfach auch die Hoffnung. Viele werden nicht zurückkehren. Und die, die es tun, werden für den Rest ihres Leben gezeichnet sein.

DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA spielt im zweiten Jahr dieses Wahnsinns, dem noch zwei weitere Jahre folgen werden:

 


Februar 1915, die kanadischen Truppen treffen in Frankreich ein. Wie kann man die Männer motivieren, wenn die Moral sinkt und die Gefahr eines Abgleitens in den Schrecken droht? Ein kanadischer Hauptmann bildet daraufhin ein Kommando von amerikanischen Scharfschützen, darunter der berühmte Soldat Odawaa, auch bekannt als Tomahawk. Schnell verbreiten seine schier übermenschlichen und ungeheuer brutalen Taten Panik in den feindlichen Linien. (Verlagstext)

 

Krieg und Legende

Zu Beginn blicken wir durch ein Zielfernrohr. Einige Deutsche nähern sich dem Schützen. Sie sind auf der Suche nach Odawaa, dem Sniper. Sie werden ihn finden und keiner von ihnen wird die Begegnung überleben. Einer der Deutschen ist Major Heinrich von Schaffner. Auch seine Hundemarke wird Odawaa, genannt Tomahawk, an sich nehmen.

 

Innenseite 2 von DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA

Ein deutscher Offizier gibt Rätsel auf

Einige Zeit später treffen sich in der Etappe der französische Colonel Desjoyaux und der kanadische Captain Keating. Eine Gruppe deutscher Plünderer verübt zwischen den Frontlinien Gräueltaten und beraubt die Bevölkerung. Da sie sich in dem von Keating mehr oder weniger kontrollierten Abschnitt befinden, soll er das Problem mit den ihm unterstellten indianischen Scouts lösen. Der Anführer dieser Plünder sei Heinrich von Schaffner, so berichtet Desjoyaux. Keating informiert ihn jedoch, dass dies kaum möglich sei, da Von Schaffner bereits vor geraumer Zeit von Odawaa getötet worden sei.

Desjoyaux befielt Keating trotzdem, sich der Sache anzunehmen, woraufhin dieser seine Scouts auf die marodierenden Deutschen ansetzt.

 

Innenseite 3 von DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA

Die Gräueltaten der Plünderer

In der nächsten Sequenz erleben wir die Skrupellosigkeit der deutschen Plünderer, die am helllichten Tag ein Gehöft überfallen, die Bewohner mit Gasgranaten aus dem Haus treiben und sie – weil deutsche Namen gefallen sind – töten. Der Erfolg des Unternehmens? Zwei silberne Kerzenständer für drei französische Leben.

Mit vollen Satteltaschen machen sich die Täter wieder auf den Weg. Das Morden ist längst ihr Handwerk geworden und fällt leicht. Und hinter dem nächsten Wäldchen finden sich vielleicht weitere Reichtümer.

Der Schatten im Stacheldraht

Inzwischen ist es Nacht geworden und wir begleiten Odawaa durch die rattenverseuchten Drahtverhaue der Frontlinie. Wir erleben, wie er sich taktisch geschickt seinen Feinden in einem Maschinengewehrnest nähert, sie herauslockt, einen nach dem Anderen ausschaltet und schließlich das deutsche MG gegen die übrigen Soldaten dieses Frontabschnitts einsetzt. Anschließend verschwindet er wie ein Geist in der Nacht.

In dieser Nachtmission Odawaa’s wird das Action-Element des Comics besonders betont. Sie wirkt beinahe übernatürlich, filmisch inszeniert und könnte durchaus aus IM WESTEN NICHTS NEUES oder dem Film „1917“ stammen.

 

Innenseite 4 von DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA

 

Deserteure und verlorene Ehre

Zuletzt begegnen wir noch zwei französischen Deserteuren, Chanteaume und Picot, die ebenfalls durch das kanadisch-kontrollierte Grenzgebiet streifen. Sie sind auf der Suche nach einem Schatz. Chanteaume weiß von einem Versteck, in dem das Signalhorn von Roland de Roncevaux, dem fränkischen Ritter, der die Nachhut Karls des Großen befehligte, verwahrt sein soll.

Roland starb bei einem Überfall der Basken auf seinen Truppen, allerdings nicht, bevor er seinen Herrn mit dem Horn warnen konnte. So die Legende. Seine Tat wurde später im sogenannten Rolandslied romantisiert und Roland damit zum populärsten Helden Frankreichs.

Ähnlich Heldenhaftes gelingt Chanteaume und Picot nicht. Sie laufen den indianischen Scouts der Kanadier in die Arme und werden festgenommen. Zu Keating gebracht kann Chanteaume diesen von einer „geheimen“ Mission überzeugen, worauf hin Keating die Beiden wieder freilässt. Nur um eine kurze Zeit später den Plünderern in die Hand zu fallen, denen ein Schatz wie das Rolandshorn gerade recht kommt.

Vielschichtig, aber zäh zu Beginn

Cédric Apikian wirft uns in DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA mit seiner humorlosen Erzählung in den Dreck des Krieges. Menschlichkeit ist ein Luxus, den sich nur Offiziere fern der Frontlinien leisten können und wollen. Diejenigen, die an der Front täglich um ihr Überleben kämpfen, sterben oder sie lernen wie die Plünderer opportunistisch zu agieren. Apikian erzählt uns in diesem Comic diverse Handlungsstränge (Odawaa, Keating, die Plünderer und die Deserteure), auch wenn zu Beginn nicht klar ist, wie die einzelnen narrativen Stränge zusammenpassen. Erst im klassischen Show-Down am Ende, der an den Italo-Western „The Good, the Bad and the Ugly“ erinnert, werden alle Fäden zusammengeführt werden. Doch bis dahin vergeht noch Zeit und die Spannung steigt ständig.

Apikian stellt uns die handelnden Haupt- und Nebenpersonen nacheinander vor. Da sie zum einen auf den unterschiedlichen Seiten der Kriegsparteien stehen und zum anderen an unterschiedlichen Handlungsorte agieren (an der Front, im Camp oder im Niemandsland) dauert diese Einführung. Hierunter leidet an mancher Stelle das Pacing.

Gerade habe ich mich an die neuen Akteure gewöhnt, schon begegnen mir neue. Ich habe Fragen und die bleiben bis auf Weiteres unbeantwortet. Erst nachdem die Charaktere eingeführt sind, ändert sich das und Apikian erzählt die weiteren Geschehnisse zügig und vorantreibend.

 

Innenseite 5 von DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA

Odawaa spricht nicht – doch alle reden von ihm

Während der Lektüre von DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA blieb mir lange Zeit unklar, weshalb Odawaa tut was er tut und weshalb er dabei so außerordentlich gut ist. Odawaa spricht nicht, seine Gedanken behält er für sich. Er ist ein schweigsamer „Wilder“. Er jagt und seine Motivation wird erst ganz zum Ende hin deutlich. Dann jedoch mit einem extremen Twist, den ich hier nicht verraten werde.

Abgesehen von den wenigen gezeigten Episoden, lebt Odawaa überwiegend in den Erzählungen der Männer. Dies gibt ihn mit einer gewissen Aura, die wiederum gibt den Männern Hoffnung und stärkt ihre Moral. Für eine Titel gebende Hauptfigur taucht er jedoch verhältnismäßig wenig auf.

Odawaa‘s Präsenz ist weniger physischer, mehr mystischer Natur. Odawaa ist nie im Lager, immer außerhalb, immer unterwegs. Nur wenige scheinen ihn je getroffen zu haben. Aber den weißen Soldaten sind die wenigen „Indianer“, die Wilden, sowieso unheimlich.

Literatur trifft Front

Dem gegenüber tritt Captain Keating häufig auf. Er ist die tragische Figur in dieser Geschichte. Als ehemaliger Professor für Literatur und gebildeter Mann hat es ihn in diesen Malstrom der Menschheitsgeschichte verschlagen. Er hat sich zum Dienst gemeldet, um einen Verlust in seiner Vergangenheit zu vergessen. Und genau wie alle anderen seiner Generation hatte er keine wirkliche Vorstellung davon, welche Grauen ihn auf den Schlachtfeldern Europas erwarten würden. Vielleicht hat er offene Feldschlachten erwartet, bunte Wimpel im Wind, getragen von einer heranstürmenden Kavallerie.

Stattdessen graben sie sich ein und erleben einen demoralisierenden Stellungskrieg mit ständigem Beschuss durch große und kleine Kaliber, Granaten und Gasen. Sein Antrieb ist es, seinen Männer bei der Ausübung ihrer Pflicht die bestmögliche Unterstützung zu bieten, sie am Leben zu halten und somit die eigene Balance zwischen Pflichterfüllung und Selbstachtung zu bewahren.

Die Plünderer als Antagonisten

Die Plünderer sind stattdessen nur auf zwei Dinge aus: Überleben und mit vollen Taschen zurück nach Hause! Ihr ganzes, moralisch abgestumpftes Handeln richtet sich daran aus. Auch wenn es bedeutet, dass nicht jeder es wieder nach Hause schaffen wird, falls er seinen gierigen „Kameraden“ im Wege steht. Nur einer aus diesem Haufen versteht wirklich, welche Bedeutung das Rolandshorn überhaupt hat und welchen Schatz es zu entdecken gilt. Keinem von ihnen wird es gelingen.

Die Plünderer sind die Heldenlosigkeit in Reinform: die Hunde des Krieges. Keine Ambivalenz lockert diesen Eindruck auf. Die Plünderer sind Symbol für moralischen Verfall und Kriegsgewinnlertum. Hier gibt es keinen Platz für Ehre.

 

Innenseite 6 von DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA

Suspense durch Schatten

Christian Rossi (DEADLINE, GOLDEN WEST) arbeitet mit rustikalem Strich. Seine Zeichnungen sind in gedeckten Braun- und Erdtönen gehalten und mit vielen Schatten versehen. Das schafft eine bedrohliche Atmosphäre, die dem Setting sowohl in ruhigen als auch in actiongeladenen Sequenzen die nötige Suspense verleiht. Sein Zeichenstil ist – auch bei den Hintergründen – detailliert, realitätsnah, gleichzeitig jedoch auch wieder abstrahierend. Rossi schafft dadurch eine Distanz zu den gezeigten Gräueltaten.

Rossi ist bekannt für diverse Western-Alben, in denen Native Americans immer schon eine zentrale Rolle eingenommen haben. Daher verwundert es nicht, dass sie auch im vorliegenden Band für einen Großteil der Handlung genutzt werden, auch wenn sie sonst eher selten als zentrale Figuren in Comics zu finden sind.

Die Panels sind klassisch, wenig dynamisch angeordnet und zeigen in der Kameraführung eine meisterliche Variation im Wechsel zwischen Totalen, Halbtotalen bis hin zu extremen Nahaufnahmen. Die Kolorierung bleibt überwiegend flach. Tiefe erreicht Rossi in erster Linie durch Schraffuren.

Odawaa’s Krieg

Nach der Lektüre bleibt bei mir in erster Linie ein Gefühl: DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA ist ein großartiger Abgesang auf den Krieg. Kriege haben nichts heroisches. Und dabei zeigen uns Apikian und Rossi nicht einmal das große Schlachten und das Gemetzel vor, zwischen und hinter den Stacheldraht-Verhauen. Heldentum gibt es nicht. Letztendlich sterben alle. Die einen sehen es kommen, die anderen nicht.

Die kanadischen Scouts gab es wirklich. Der Berühmteste unter ihnen war Francis Pegahmagabow, der mit rund 380 Tötungen zu den erfolgreichsten Scharfschützen des ersten Weltkrieges gehörte.

DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA ist ein gut gemachter Comic, ein narrativ dicht und grafisch gekonnt erzähltes Cross-Over aus Western, Kriegsdrama und Mythos für Liebhaber cineastischer, gerne-übergreifender Stoffe.

DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA fordert, verstört und belohnt. Wer dunkle Stimmung, visuelle Tiefe und subtile Referenzen zu Western‑Klassikern schätzt, sollte unbedingt zugreifen.

Allerdings ist dieser Comic keine leichte Lektüre vor dem Zu-Bett-Gehen. Dieses Album sollte man sich lieber an einem ruhigen Nachmittag vornehmen. Einem Nachmittag, der später noch Positives bereit hält…

 


Cover von DIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAADIE BALLADE VOM SOLDATEN ODAWAA

© ZACK Edition | Hardcover | 88 Seiten | Farbe

Storyline:   ★★★☆☆
Zeichnungen:  ★★★☆☆
Lettering:  ★★★☆☆
Humor:  ☆☆☆☆☆
Meine persönliche Bewertung:  ★★★☆☆
ISBN: 978-3-949987-68-7

Informationen zu den Bildrechten findest Du hier.

 

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