DIE (fragmentierten) CHRONIKEN DES UNIVERSUMS

Mit „DIE CHRONIKEN DES UNIVERSUMS – Fragmente einer ewigen Kindheit“ legen Richard Marazano (Szenario) und Ingo Römling (Zeichnungen und Kolorierung) den dritten und letzten Band ihrer komplexen Science-Fiction-Trilogie vor. Die Erde ist technologisch soweit fortgeschritten, dass Raumflüge möglich – wenn auch nicht ungefährlich – sind und auf Forschungsreisen im All Studien durchgeführt werden.

Für die Rezension zu diesem letzten Band macht es Sinn, ein „Was-bisher-geschah“ einzubauen:

Im ersten Band begleiten wir vier Menschen und ein außerirdisches Wesen auf ihrem Forschungsschiff, der Thukydides: Polly, Mark, Adya, Qsi und Oot-Jah. Die Fünf sind Studierende an der ‚Akademie der Universellen Historischen Wissenschaften‘ und werden auf ihrer Reise auch von ihrem Dekan und Gründer der Akademie begleitet. Den eigentlichen Zweck dieser Studienreise bleibt uns Richard Marazano schuldig. Aber die Akademie hat sich ‚ganz und gar der Geschichte extraterrestrische Zivilisationen verschrieben‘. Und der Dekan scheint mehr über diese Reise zu wissen, als er seinen Studenten zugesteht.

Wir erfahren erst einmal wenig über die persönlichen Hintergründe der Crew-Mitglieder. Stattdessen lernen wir sie über ihre Gruppendynamik kennen: die grün-haarige Polly ist Antriebsingenieurin und ein Hitzkopf, der schneller zum Blaster greift, als Lucky Luke zu seinen besten Zeiten. Adya mit den langen schwarzen Haaren ist die Biologin an Bord, Qsi mit den Schläfenlocken neben dem Pony hat sich zur inoffiziellen Führerin der Gruppe entwickelt während Mark – als Physiker und Quotenmann – mit flotten Sprüchen gegen die geballte Frauenpower zu bestehen versucht. Oot-Jah ist ein Außerirdische mit Kopfstümpfen und überwiegend für die Technik des Schiffes und die Navigation verantwortlich. Ein klassisches Star-Trek-Team also.

Ja und dann ist da noch Pearl, ein manipulativer Alien-Gefangener, der in die Gedanken anderer eindringen und sich von ihnen ernähren kann. Er bringt eine eigenes Konfliktpotential mit in diese Gruppe.

Nachdem die Thukydides im ersten Band von einem Energiestrudel verschluckt wurde, das Schiff auf einem Planeten notlanden musste und die Gruppe dort in einem Tempel die namensgebenden, verschlüsselten Chroniken des Universums gefunden hat, sind unsere Protagonisten nur mit Hilfe der ehemaligen Einwohner des Planeten in der Lage diesen mit letzter Kraft zu verlassen. Als sie den rettenden Orbit erreichen, stellen sie fest, dass die Sternen-Konstellationen nicht mehr stimmen und sie nicht in ihre Zeit zurückgekehrt sind. Cliffhanger.

Im zweiten Album schildert Marazano uns, wie die Besatzung planlos in den Weiten des Alls umherirrt und auf Raumschrott trifft, der die Thukydides nur durch einen Zufall nicht schwer beschädigt. Im Inneren eines herumtreibenden Schiffswracks finden sie einen bewusstlosen Menschen, der in einem Raumanzug überlebt hat und der als Gesandter auf dem Weg zu einem Sieben-Tagesreise entfernten Planeten war, um dem Volk der Tlaxcalteken die vollständige Kapitulation der Menschen zu überbringen.

Adya und der Gesandte fühlen sich stark zueinander hingezogen und verlieben sich. Allerdings erfährt Adya bei den Tlaxcalteken, dass der Botschafter immer wieder durch eine Zeitschleife an seinen Fundort zurückkehren muss und die Beziehung der beiden dadurch immer wieder nur für einen kurzen Augenblick durchlebt werden kann. Die Crew erhält von den Tlaxcalteken jedoch den Schlüssel, um die Chroniken zu dechiffrieren.

Während also im ersten Band physische Grenzen das zentrale Thema sind, ist es im zweiten Band die Zeit. Soweit so gut. Nun also der Abschlussband.

Wir befinden uns mit Polly und Mark auf einer dschungelartigen Planetenoberfläche und geraten mit ihnen sofort in die erste Aktionsequenz der Erzählung. Mark stolpert aus einem Dickicht und erkennt, dass er das Artefakt verloren hat. Beide müssen sich unmittelbar darauf verstecken, weil sie urplötzlich von einem riesigen Spinnenwesen gejagt werden. Im letzten Augenblick jedoch, bevor es wirklich gefährlich wird, erscheint das Gesicht von Qsi in einer grünen Wolke und ruft ihnen zu „Mark! Die Bestie! Ich kann sie nicht länger halten! Das Artefakt … Wir brauchen das Artefakt!“ – „Ich … Ich glaube, ich hab’s verloren!“ – Schnitt – „Ein paar Tage zuvor“ …

Zu Beginn seiner Geschichte wirft uns Marazano also wieder einmal irgendwo ins Nirgendwo. Mir hat der Storytelling-Grundsatz, eine Handlung so spät wie möglich beginnen zu lassen, schon zu Beginn des ersten Bandes extreme Schwierigkeiten bereitet. Es fehlte damals jegliches Framing: Warum sind wir hier? Wann sind wir? Wer sind diese Leute? Fragen über Fragen und statt Antworten: Unmittelbare Action!

Im neuen Band erfahren wir, dass es der Crew der Thukydides gelungen ist, die Chroniken mit Hilfe des im zweiten Band von den Tlaxcalteken übergebenen Schlüssels zu entziffern. In den Chroniken wird der Planet Cordelia 7 erwähnt, in dessen Orbit das Schiff nun seine Runden dreht. Auf ihm hoffen sie, weitere Teile der Chronik zu finden. (Ach, die Chronik aus Band 1 war gar nicht vollständig?)

Um auf dem sich ständig verändernden Planeten, der ein einziger, lebender Organismus zu sein scheint, voranzukommen, pflanzt Peach zwei Spinnenwesen das jeweilige Bewusstsein von Qsi und Ayda ein. Die Beiden sollen so „jeden noch so kleinen Strom auf dem Planeten erspüren“ können und helfen, ein Artefakt zu finden.

Der Abschlussband dreht sich dabei stark um Pearl’s Psi-Fähigkeiten. Er vermag u.a. ein Bewusstsein von Körper zu Körper zu übertragen. Auch kann er über größere Entfernungen den Kontakt zu den als Spinnenwesen umherwandernden Qsi und Ayda halten. Das alles sind nette Fähigkeiten für ein Crew-Mitglied. Als Haupt-Sujet – wie Raum und Zeit in den ersten Bänden – reicht es jedoch nicht.

Natürlich bricht der Kontakt zu den Spinnenwesen ab und Polly und Mark müssen sich auf einer Außenmission auf die Suche machen. Bei dieser Expedition finden sie ein Kind, dass allein auf sich gestellt auf diesem scheinbar unwirtlichen Planten überlebt hat.

Qsi entwickelt sich in diesem Band zu einer wahren Anführerin mit Qualitäten, die nicht nur auf ihrem Titel als Studentenvertreterin, beruhen. Polly ist und bleibt die Frau fürs Grobe und lernt, die eigenen Selbstzweifel zu überwinden (ihre Frisur ist auch nicht mehr „grün“ hinter den Ohren). Während Mark nur derjenige ist und bleibt, der keine wirklich Entwicklung durchmacht. Er stolpert seit dem ersten Band wie ein großes Kind seiner angebeteten Polly hinterher und versucht ihr zu gefallen. Sollte das als Comic-Relief gedacht gewesen sein, so taugt es dazu nicht. Adya hatte ihren Center-Stage-Auftritt schon im ersten Band.

Ob Oot-Jah an Bord ist oder nicht, macht keinen Unterschied. Wäre die Crew – wie bei Star Trek – um einige Mitglieder größer, könnte er durchaus als einer von vielen im Hintergrund agieren. Und der Dekan? Er schwebt durch das Szenario und bleibt dabei ebenfalls blass. Warum die Jugend vor „dem Alten“ Respekt wenn nicht gar Furcht verspüren sollte, bleibt letztendlich unerzählt.

Als Dekan ist er abgesetzt und Abschlussprüfungen sind in der aktuellen Lage das geringste Problem des Teams. Haben wir dem Dekan im ersten Band noch unterstellt, dass er mehr über die Chroniken weiß und dass er die Thukydides mit Absicht zum Fundort geführt hat, so lässt sich davon nichts wiederfinden. Und genau das ist das Problem des gesamten Szenarios. Es fehlt ein über die Gesamtzahl der Bände durchgängiger, konsistenter und glaubwürdiger Story-Arc.

Die Suche nach den „CHRONIKEN DES UNIVERSUMS“ mag für die fünf Geschichtsstudenten interessant sein. Marazano schafft es aber nicht, mich – als Leser – gleichermaßen zu begeistern. Ich verstehe einfach nicht, weshalb diese uralte, mystische Zusammenstellung so wichtig sein soll und warum sie unseren Protagonisten dabei helfen soll, wieder nach Hause zu gelangen. Denn dies ist seit dem Ende des ersten Bandes der Hauptkonflikt der Geschichte.

Richard Marazano’s (‚Der Schimpansenkomplex‘, ‚S.A.M.‘) Werke sind von Science-Fiction, Abenteuer und philosophischen Themen geprägt. Und genau diesen philosophischen Aspekt der Geschichte vermittelt er nicht wirklich. Die aktuelle Geschichte könnte eigentlich faszinierend sein. Stattdessen lässt er uns im Grunde an einer Coming-of-Age-Erzählung teilhaben, die er mit physikalisch-philosophischem Imponiergehabe überfrachtet.

Marazano schafft Konflikte. Das ist gut und macht eine Erzählung interessant. Konflikte, die er im Laufe der Erzählung aber nicht auflöst. Das ist wiederum gar nicht gut. So streiten sich z.B. Polly und Mark über drei Bände hinweg wie ein altes Ehepaar, ohne ein Paar zu sein. (Der Kuss zum Schluss wirkt arg erzwungen, um diesen Handlungsstrang doch noch zu einem glücklichen Ende zu bringen.). Ayda, die in Wirklichkeit ein Hermaphrodite ist, erfährt wahre Liebe mit dem Gesandten, ohne ihn – wie nach dem zweiten Band anzunehmen – noch einmal wiederzusehen. Warum der Gesandte eine Kapitulationserklärung der Menschen überbringen soll? Ebenfalls ungeklärt.

Der Grund für Pearl’s anfängliche Gefangenschaft wird ebenfalls nie erläutert und seine u.a. auf Rachegelüsten basierende Boshaftigkeit spielt in der Folge keine Rolle mehr. Stattdessen wird er – ohne echte Begründung für diesen Wandel – zu einem wertvollen und nützlichen Crewmitglied umgeschrieben, ohne es auf den Buchrücken zu den anderen zu schaffen.

Als sich herausstellt, dass der Planet eine eigene Entität mit einem Bewusstsein zu sein scheint, merkt Pearl davon nichts. Oder hat er diese Information einfach nur für sich behalten, obwohl die Kenntnis das Wohl und Wehe aller Beteiligten beeinflussen könnte? Warum ist es zwingend  notwendig, zwei Personen in Spinnen zu transferieren? Warum reicht nicht eine und man versucht es später noch einmal, falls es mit Qsi nicht funktioniert? Zeitdruck scheint es nicht zu geben. Warum ist es bei den hochtechnisierten Bordmitteln überhaupt notwendig? Ach ja, wofür genau brauchen Qsi & Co. in der Eingangsszene so dringend das Artefakt? Wie gesagt: Fragen über Fragen.

Die Thukydides wird (Vorsicht! Spoiler!) nicht zur Erde zurückkehren und der Hauptkonflikt damit nicht gelöst. Stattdessen wird die Suche nach den Chroniken zu einer religiösen Reise umstilisiert und das Ende für potentielle weitere Geschichten offen gehalten. Mögliche, neue Geschichten würde ich mir – nach diesem Band – dann aber ersparen wollen. Gibt es denn gar nichts Positives? Doch, das gibt es: die Zeichnungen.

Ingo Römling ist bekannt für seinen realitätsnahen, detailreichen und atmosphärischen Zeichenstil, den er bereits in Serien wie ‚Malcolm Max‘ (Szenario Peter Mennigen) oder ‚Star-Wars: Rebells‘ unter Beweis gestellt hat. An der, an einen Regenwald erinnernden, üppigen Umgebung von Cordelia 7 und insbesondere bei den – bei Comic-Schaffenden ungeliebten – hier aber sehr detailreich ausgearbeiteten Hintergründen erkennen wir sein meisterliche Können und seinen Enthusiasmus für anspruchsvolle Arbeiten.

Seine Figuren sind wie gewohnt ausdrucksstark und spiegeln eine Bandbreite an menschlichen und nicht-menschlichen Charakteren wider. Der Dekan, der im Grund nur aus einem Kopf in einer Überlebenskapsel besteht, erinnert an das fliegende Gehirn des Professor Simon Wright aus der 80er-Jahre-Anime-Serie Captain Future (dessen Comic-Abenteuer gerade im Carlsen Verlag frisch aufgelegt wurden).

Zeichnerisch sticht hervor, dass das – in den meisten Comics schwarz gehaltene – Inking teilweise durch andere Farben ersetzt wurde und sich somit ein insgesamt weicheres Gesamtbild der Zeichnungen ergibt. Die variantenreiche Panel-Auswahl und Gestaltung der Seiten ist dynamisch und hilft dabei, am Ball zu bleiben. Römling versteht es, die Psi-Komponenten der Geschichte grafisch großartig darzustellen. Die Kombination mit der atmosphärischen Kolorierung führt zu stimmungsvollen Bildern, die der Story zusätzlich eine emotionale Wirkung verleihen.

Bereits bei ‚Malcolm Max‘ hat sich Römling als technik-affiner Künstler erwiesen. Er setzte damals schon auf Computer basiertes 3D-Design, um
wiederkehrende Objekte korrekt und konsistent weiter zu verwenden. Das gilt z.B. für Malcolm’s Londoner Domizil oder für das Innenleben der Thukydides. Diese Vorgehensweise ist zu Beginn zwar aufwendig, erspart Römling im weitere Verlauf einer Serie aber die aufwendigen Hintergrund-Illustrationen bei gleichzeitiger, perspektivischer Korrektheit aus veränderten Blickwinkeln. Mit diesem Trick vermittelt Römling einen gleichbleibend hohen Qualitätsstandard.

„Sternenstrudel“ erschien beim Dargaud-Verlag 2020, „Die Zeitesser“ im Jahr 2021 (beim Splitter Verlag jeweils im Folgejahr) und „Fragmente einer ewigen Kindheit“ im Jahr 2024 (bei Splitter ganz aktuell ab 01. April 2025). Und genau diese drei Jahre zwischen dem zweiten und dritten Band lassen vermuten, dass es hier eine Vertrag über drei Bände gab, den der Autor erfüllen musste, obwohl er kein wirkliches Gesamtkonzept vorliegen hatte. Corona-Krise hin oder her. Hier durften wir mehr erwarten.

Wie bereits erwähnt fehlt bei DIE CHRONIKEN DES UNIVERSUMS insgesamt ein Story-Arc, der die Geschichte über alle Bände trägt. Die namensgebenden Chroniken selbst und ihre Spezialität sind hierfür leider zu wenig herausgearbeitet.

Die ersten Bände erzählen Geschichten, die – für sich genommen – grundsätzlich auch alleine stehen könnten. Allerdings hätte Marazano dann an der einen oder anderen Stelle noch Erklärungsarbeit leisten müssen, um die offenen Fragen zu beantworten. Den dritten und letzten Band habe ich daher in der Hoffnung gelesen, dass diese vielen Fragen abschließend beantwortet würden. Leider bleibt er uns die Antworten schuldig und das ist für mich eine wahre Enttäuschung.

Freunde von Star-Trek-Außenteams, die unterschiedliche, professionelle Qualitäten zusammenbringen, werden an der Geschichte möglicherweise ihre Freude haben. Ich tue mich – obwohl ich ein Trekki bin – hier von Anfang an leider schwer und gebe ehrlich zu: Wären Ingo Römling’s Zeichnungen nicht so großartig, hätte ich nach dem ersten Band wahrscheinlich das Interesse verloren! Darum komme ich bei den Chroniken leider nur auf eine 3-Sterne-Bewertung.


DIE CHRONIKEN DES UNIVERSUMS – Band 3 – Fragmente der ewigen Kindheit

© Splitter-Verlag | Hardcover | 56 Seiten | Farbe
Storyline:  ★★☆☆☆
Zeichnungen:  ★★★★★
Lettering:  ★★★★☆
Humor:  ★☆☆☆☆
Meine persönliche Bewertung: ★★★☆☆
ISBN: 978-3-96219-594-6
Informationen zu den Bildrechten findest Du hier.

Die Bände der Reihe:

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