Der erste Blick auf die BONE-Trilogie könnte einen in Sicherheit wiegen. Die drei „Knochen“-Cousins Fone Bone (li.), Phoney Bone (mt.) und Smiley Bone (re.) kommen in einem sehr cartoonhaften, fast kinderbuchartigen Design daher, das fast schon an Disney erinnert. Während der naive, liebenswerte Fone Bone und der ewig betrügerische, immer auf seinen eigenen Vorteil ausgerichtete Phoney Bone uns mit einer gesunden Dosis Humor und Chaos begegnen, ist Smiley Bone – nun ja – einfach der mit den Witzen, die keiner so richtig versteht (aber irgendwie trotzdem lustig sind).
Diese Cousins sind aus ihrer Heimatstadt Boneville verbannt und geraten – wie es der Zufall (oder die Erzählweise eines uralten epischen Abenteuers) will – in ein fantastisches Land voller Drachen, mysteriöser Kräfte und einem unaufhaltsamen Bösen. Die Idee von ungleichen Helden ist altbekannt, aber was BONE so einzigartig macht, ist, wie Jeff Smith diese „alten Hüte“ auf eine erfrischende Weise umsetzt, mit einer Geschichte, die das zarte Gleichgewicht zwischen Humor und Pathos wahrt, ohne den Leser im Stich zu lassen.
Der wohl stärkste Aspekt von BONE ist die Entwicklung seiner Charaktere – insbesondere die von Fone Bone. Zunächst als ein bisschen einfältiger, aber gutmütiger Wanderer eingeführt, entwickelt sich Fone im Verlauf der Geschichte zu einer Person, die für ihre Prinzipien und ihre Freunde kämpft, auch wenn sie es mit übermächtigen Gegnern zu tun hat. Aber das ist nicht nur ein “Held wird stärker”-Weg. Es ist ein stetiger Prozess des Lernens und der Akzeptanz, dass wahre Größe aus der Fähigkeit entsteht, sowohl Fehler einzugestehen als auch Verantwortung zu übernehmen.
Und dann ist da noch Phoney Bone. Dieser Typ ist so charmant wie ein Wolf im Schafspelz – oder besser gesagt, wie ein Schaf im Wolfspelz, weil eben nicht so viel hinter seinen Machenschaften steckt, wie er sich selbst glauben machen möchte. Während Phoney auf den ersten Blick wie ein
selbstsüchtiger, geldgieriger Antiheld wirkt (und das ist er auch), wird klar, dass er im Herzen nicht wirklich böse ist. Im Gegenteil: Phoney ist ein faszinierendes Beispiel für die Art von Charakter, die Jeff Smith meisterhaft zeichnet. Einen, der immer wieder Fehler macht, der dabei aber nicht
nur für über sich selbst hinaus wächst, sondern auch für die Leute um ihn herum.
Und Smiley Bone? Nun, er ist der Comic Relief, der genau dann einen dummen Spruch bringt, wenn du es am wenigsten erwartest. Aber genau diese kleinen Momente geben der Geschichte immer wieder einen erfrischenden Humor, der das düstere, epische Setting auflockert.
Die Geschichte von BONE könnte auf den ersten Blick die typischen Fantasy-Elemente aufgreifen – wir haben ein geheimnisvolles Königreich, das
von einer Bedrohung heimgesucht wird, Drachen, die ihren tiefen Schlaf unter der Erde beenden, und Helden, die aus der Ferne gekommen sind, um das Böse zu bekämpfen. Aber die wahre Stärke von BONE liegt in der Art, wie die Geschichte erzählt wird.
Die Bedrohung des dunklen Drachen und der mysteriösen „Rattenmonster“ ist nicht nur ein Aufeinandertreffen von Gut gegen Böse. Die Bedrohung ist subtiler, die Welt ist komplexer. Die mystische Herkunft der sogenannten „Rattenmonster“, die aus einer tiefen, fast mythologischen Vergangenheit heraus angreifen, fügt der Geschichte eine ernsthafte Note hinzu, die sich von den meisten klassischen Fantasy-Werken abhebt. Was wir hier haben, ist eine epische Reise, die nicht nur um den physischen Kampf geht, sondern auch um die Auseinandersetzung mit der Geschichte, der Vergangenheit und den persönlichen Fehlern der Charaktere.
Und dann kommen natürlich die zahlreichen Nebencharaktere – wie Thorn, die geheimnisvolle Prinzessin, die mehr über ihre Herkunft erfahren muss, als sie jemals für möglich gehalten hätte. Ihre Entwicklung ist eine der bewegendsten im gesamten Werk, besonders in der Wechselwirkung mit Fone Bone, dessen zunehmende Gefühle für sie eine der emotionalsten Achsen der Geschichte bilden.
Was BONE so besonders macht, ist die Art und Weise, wie sich die persönlichen und familiären Geschichten der Charaktere mit den größeren Konflikten des Comics verweben. Jeder Schritt, den die Cousins in die größere Welt hinaus tun, ist auch ein Schritt in ihre eigene Entwicklung.
Und dann ist da noch der Humor. Er ist eine der mächtigsten Waffen von Jeff Smith und er nutzt sie meisterhaft, um die tiefen, manchmal düsteren Themen des Comics zu mildern. Es gibt diese wunderbare, fast slapstickartige Dynamik zwischen den Knochencousins Fone, Phoney und Smiley, die oft die nötige Auflockerung bringen, wenn die Geschichte sich auf die epischen Konflikte konzentriert. Der Humor ist jedoch nicht nur leicht und oberflächlich. Es ist ein Humor, der die menschlichen Schwächen und Stärken der Charaktere feiert und ihnen gleichzeitig Tiefe und Komplexität verleiht.In einigen Momenten erinnert er sogar stark an das anarchistische Treiben von Calvin & Hobbes geschrieben von Bill Watterson (Notiz an mich: zu denen muss ich bei Gelegenheit auch noch mal was machen).
Smith’s grafischer Stil ist ebenfalls bemerkenswert. Anfangs könnte man ihn für etwas „einfach“ halten, aber während man tiefer in die Welt von BONE eintaucht, merkt man, dass der Stil genau die richtige Balance zwischen Einfachheit und Detail trifft, um sowohl die humorvollen als auch
die düsteren Elemente der Geschichte zu betonen. Manchmal ist ein Blick von Fone Bone, der in einem Moment der Gefahr fast zu einem Clown wird, alles, was es braucht, um den ernsten Ton ein bisschen aufzulockern.
geschickten Balance von Humor und Ernst ist es ein Werk, das die Grenzen zwischen „Kindergeschichte“ und „epischer Fantasy“ verschwimmen lässt. Wer bereit ist, in diese Welt einzutauchen, wird nicht nur in einem fantastischen Abenteuer aus 55 Kapiteln gefangen genommen, sondern wird auch mit einer tiefen und menschlichen Geschichte konfrontiert, die sowohl zu Herzen geht als auch zum Schmunzeln anregt
Und auch wenn du am Anfang denkst, du hast hier nur einen weiteren Comic über ein paar alberne Knochenmännchen in der Hand, denk daran: Manchmal ist das Größte unter den kleinsten Dingen verborgen. Und das gilt besonders für BONE.
So, jetzt mal ernsthaft: Was brauchst Du noch? Mehr Drachen? Mehr Knochen? Mehr epische Heldenreisen? Hier bekommst du alles und das mit einer Prise Humor, die dir bei jedem Schritt auf dieser Reise ein Lächeln ins Gesicht zaubern wird.
P.S. Wer sich intensiver mit Jeff Smith’s grafischer Erzählkunst auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich Josiah Leighton’s Blog Eintrag zur oben gezeigten Wasserfall-Sequenz. Ganz großes Kino!
BONE