METROPOLIA: BERLIN 2099 zahlt einen Euro – pro gelaufenem Kilometer!

Berlin 2025 ist nicht meine Stadt. Ich finde sie zu groß, zu viel Geschichte, als Hauptstadt zu bedeutungsschwanger. Unfreundlichkeit wird als Lokalkolorit verkauft und die Verwaltung scheint – wenn man den Medien glauben darf – unfähig zu sein, elementare demokratische Prozesse in regelmäßigen Abständen durchzuführen. Das kann in Zukunft doch alles nur schlimmer werden, oder? Vielleicht.

Fred Duval (Szenario, Schwarze Seerosen, Das Mädchen mit den blauen Augen) und Ingo Römling (Zeichnungen, Malcolm Max, Star Wars Rebels) nehmen uns mit in eine mögliche Zukunft der Stadt, hinein ins Jahr 2099.

Die Welt, wie wir sie kennen, hat sich verändert. Das Verkehrschaos der Großstädte ist verschwunden. Ereignisse in der Vergangenheit haben dazu geführt, dass sich die Menschen überwiegend zu Fuss oder auf dem Rad bewegen. Privatautos sind fort, Transportmittel sind teuer, weite Reisen kaum oder (un)erschwinglich.

Miles, also Entfernungsmeilen, sind zu einer Ersatzwährung geworden. In gewisser Weise nimmt uns Duval also mit in eine Welt, die entfernt an die von In Time, dem Kino-Film mit Justin Timberlake, erinnert, nur das die vorherrschende Währung eben nicht Lebenszeit ist.

 

Das 22. Jahrhundert wird jenes der Fussgänger, oder es wird gar nicht sein.

 

Dieses Zitat beschreibt gut, dass es in der Vergangenheit zu einem Umdenken gekommen sein muss und das die Politik es irgendwie geschafft hat, die Bevölkerung von der Notwendigkeit radikaler Schritte zu überzeugen. Ja, sogar in Deutschland.

Die Menschen sind folglich weniger mobil, die Städte ziehen sie magisch an. Manche verlassen den Ort nie, an dem sie geboren wurden. Andere träumen von weit entfernten Orten und Menschen. So auch Sascha.

 

 

Wir lernen ihn als jungen, schlanken Mann unbestimmten Alters kennen, der sich seinen Lebensunterhalt als Privatermittler u.a. für die Firma Metropolia verdient. Auch er führt eine Fernbeziehung nach Nordamerika und hofft, irgendwann genügend Miles zusammen gespart zu haben, um mit einem Schiff die Entfernung zu seiner Freundin überbrücken zu können.

Sascha erhält von seinem Kontakt bei Metropolia bald einen neuen Auftrag: Bei einer hochkarätigen Kunstauktion gab es einen Mord. Die Täterin konnte entkommen, verliert bei ihrer Flucht aber einen Schuh. ‚Aschenputtel‘ ist untergetaucht und Informationen legen nahe, dass sie sich vor der Tat längere Zeit in einem Wohnhochhaus der Firma aufgehalten hat. Die Firma selbst will nicht, dass die ermittelnde Polizei zu viele Steine umdreht und beauftragt Sascha, die Auftragskillerin auf eigene Faust zu finden.

Also schleust sich Sascha in das Gebäude ein und beginnt mit seinen Ermittlungen. Aber schnell stellt er fest, dass er weder der Prinz in der Geschichte ist noch dass die Ermittlungen märchenhaft sind.

 

 

Metropolita – Berlin 2099 ist ein futuristischer Crime-Noir-Thriller, der zwischendurch auch in Bonbon-Farben daher kommt. In der Metropole ist die Luft sauberer geworden. Die deutsche Autoindustrie hat ihre Produktion vor Jahren auf emissionsfreie Systeme umgestellt. Den Platz, den früher Autos für sich beanspruchten, nutzen nun all diejenigen, die zu Fuss von A nach B kommen wollen und müssen. Sie teilen sich die Strassen der analogen und digitalen Welt mit Androiden und künstlichen Intelligenzen. Transportmittel sind für normale Bewohner unbezahlbar.

 

Das französische Sci-Fi-Genie Fred Duval (»Reset«) und der deutsche Ausnahmezeichner Ingo Römling (»Malcolm Max«) entwerfen in ihrem ersten gemeinsamen Comic eine Vision von Berlin in naher Zukunft – voller faszinierender Ideen, dicht erzählt und grandios illustriert. 

 

Ja, genau! Dieser Aussage des Verlages kann ich nur vorbehaltlos zustimmen. Die Story ist straff und kurzweilig erzählt, die Figuren bis in die Nebencharaktere ansprechend und glaubwürdig. Sie nehmen uns emotional mit auf ihre Reise und wecken in uns den Wunsch, sie im nächsten Band wiederzusehen, selbst wenn dieser – wie beabsichtigt – in einer anderen Hauptstadt spielen soll. 

Der Cast der Geschichte ist gut besetzt. Neben Martha, der Fahrradkurierin, treten u.a. der „Ständige Polizist“ des Gebäudes und sein Side-Kick, der weibliche Android Wanda, auf den Plan und helfen unserem Protagonisten zur richtigen Zeit, seine Ermittlungen voranzutreiben und abzuschließen.

 

 

Das Szenario ist intelligent, spannend und rund. Das Pacing hat keine Längen. Alles, was von Duval geschildert und von Römling bebildert wird, dient der erzählten Geschichte und könnte in vierzig Jahre Realität sein. Wir erleben keinen Hochglanz und keine völlig verdreckte Endzeit-Version eines Molochs, sondern bewegen uns durch eine Welt, die immer noch ähnliche Probleme aufweist, wie wir sie heute schon haben (Arbeiten, um Geld zu verdienen – Geld verdienen, um zu leben und um über größere Entfernungen zu reisen).

Der Kniff mit der Meilen-Währung ist etwas Besonderes und gibt dem Szenario insgesamt eine ausbaufähige Grundlage. „Mal eben“ den Standort wechseln oder um die Welt zu jetten funktioniert in diesem Szenario nicht mehr. Ausser natürlich, unsere Protagonisten erhalten Zugang zu den Superreichen dieser Welt. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Fred Duval versteht es, Geschichten zu erzählen und beherrscht sein Handwerk. Das gleich gilt für Ingo Römling, doch dazu später mehr.

Man merkt, dass Duval und Römling versucht haben, das aktuelle Großstadt-Feeling Berlin’s einzufangen und einige Jahrzehnte in die Zukunft zu projizieren. Für Römling ist es eine Heimspiel und man merkt ihm nicht nur die Freude an, die er beim Set-Design gehabt haben muss. Nein, er wollte seiner Wahlheimat wohl auch den richtigen Rahmen geben und mit realistischen Futurismus eine erwartungsfreudige Grundstimmung setzen, die sich auch im farblichen Design widerspiegelt. Ich bin gespannt, ob dies so auch bei den kommenden Bänden gelingt. Die Kolorierung einzelner Abschnitte macht es dem Leser zudem leicht, die realen und die virtuellen Räume zu unterscheiden. 

Römling öffnet uns die Tür in diese Welt zwar nur einen Spalt, aber was wir sehen, macht Lust auf mehr. Nach eigener Aussage sind 90% von Locations von Berlin 2099 als 3D-Modell am Rechner entstanden, was dem Ganzen wieder einen konsistenten und zeichnerisch korrekten Look vermittelt. Römling macht es sich dabei nicht leicht, alle seine Figuren sind von Hand gezeichnet und erhalten seinen unverwechselbaren Look.

 

 

Die Kameraeinstellungen mit diversen Perspektivwechseln und die verwendeten Panel-Arten sind gut gewählt. Sie zwingen uns keine Enge auf, die es in einer solchen Großstadt sicherlich auch geben könnte. Die hilfreichen und grün-unterlegten Captions / Erläuterungen aus dem Off unterstreichen schön den Crime-Noir-Ansatz und helfen uns, zügig in die neue Welt einzutauchen.

 

 

Ganz ohne Gesellschafts- und Kapitalismuskritik ist eine Geschichte wie diese aber nicht erzählt, falls das Projekt gut werden soll. Dies wird gegen Ende noch einmal sehr deutlich, als Sascha erkennt:

 

Der Markt passt sich an alles an, ums aus dem System Profit zu schlagen, selbst bei läppischen Low-Tech-Maßnahmen wie dem Zufuß-Gehen…

 

Ohne zu viel zu verraten, erinnert die Lösung des Falles letztendlich stark an den Salad Oil Skandal aus dem Jahr 1963, in dem Anthony De Angelis vor seiner Verhaftung mit viel krimineller Energie ein Vermögen machte. Ja, auch in dieser Zukunft geht es immer noch um Geld, Macht und Verbindungen. Die Lösung des Falles passt letztendlich zum Setting, logisch und konsequent (aber verraten werde ich sie an dieser Stelle nicht, sorry).

Kurz vor Schluss dieser Rezension gibt es dann doch noch ein wenig Kritik. Bereits auf der dritten Seite erzählt uns Duval, dass „der Schütze […] die Gestalt einer Frau“ hat. Es scheint also möglich zu sein, dass in dieser Welt Personen die optische Erscheinung wechseln können. Eine interessante Idee, die im Verlauf der Handlung aber nicht weiter aufgegriffen wird. Als Sascha auf die Auftragskillerin trifft, ist sie die blonde Frau, die auch den Mord begangen hat. Schade, hieraus hätte sich sicherlich noch ein schöner Twist verstecken können. Allerdings wissen wir auch, dass die Serie auf 3 Bände angelegt ist und vielleicht ist dieses Detail ja noch für einen späteren Band vorgesehen.

Aktuell gehört dieser Comic meiner Meinung nach zum Besten, was der frankobelgische Markt im Bereich Sci-Fi und Krimi zu bieten hat. Er ist ein wunderbarer Genre-Mix, der mit frischen Ideen ausreichend Potential für weitere Bände hat. Anders, als bei DIE CHRONIKEN DES UNIVERSUMS habe ich die Hoffnung, dass diese Welt fesselnd bleibt. Ich freue mich schon jetzt auf die weitere Zusammenarbeit von Fred Duval und Info Römling und die übrigen Bände der Reihe. Dafür laufe ich sogar zur Comic-Handlung meiners Vertrauens …

 


METROPOLIA 1: BERLIN 2099

(Band 1 von 3)

© Splitter Verlag| Hardcover | 56 Seiten | Farbe

Storyline:   ★★★★★
Zeichnungen:  ★★★★★
Lettering:  ★★★★★
Humor:  ★★☆☆☆
Meine persönliche Bewertung:  ★★★★★
ISBN: 978-3-68950-071-9

Informationen zu den Bildrechten findest Du hier.

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