Lucien ist alles andere als der klassisch-züchtige Priester. Wer den Vorgängerband kennt, weiß, wie elegant der Autor Jacky Schwartzmann seinen Antihelden im Wechselspiel zwischen Killer und Pfarrer agieren lässt.
Im zweiten Teil der Reihe, HABEMUS BASTARD – 2 EIN HERZ UNTER DER SOUTANE, hat sich Lucien nun in seiner neuen Rolle längst eingerichtet. Aus einem der gefährlichsten Männer Frankreichs wird ein Meister der Verwandlung und der Verhandlung. Naturalien und Gefälligkeiten sind ihm sicher. Doch unter der Soutane brodeln immer noch alte Instinkte. Die blutige Vergangenheit bahnt sich langsam, aber sicher ihren Weg in das beschauliche Kleinstadtidyll.
Dorfidylle mit dunkler Seite
Auf den ersten seiten des neuen Bandes erhalten wir einen geschichtlichen Schnellkurs, warum sich die beiden Unterwelt-Bosse von Lyon nicht grün sind.
Die eigentliche Geschichte setzt dann am Ende des ersten Bandes an, als Lucien endgültig untergetaucht ist. Nun lebt er scheinbar friedlich als Dorfpfarrer, aber die Idylle trügt. Die Dorfbewohner lieben seinen unkonventionellen Stil, doch auch sie spüren, dass hinter Lucien’s ruhiger Fassade mehr als nur der Segen wartet.
Und wie zu erwarten war, tauchen im Verlauf – natürlich – die bösen Buben aus Lyon im beschaulichen Saint-Claude auf, weil Lucien die Leiche nicht sauber genug entsorgt hat. (Was meine ursprüngliche Kritik, dass Lucien sie in den Lyoneser Gassen zurückgelassen haben könnte, aufklärt.)
Von Schwarzmann auf immer neuen Ebenen ausgearbeitet, bleibt der Humor bissig, manchmal etwas derb, aber nie platt. Es sind oft die kleinen Seitenhiebe gegen Kirche, Gesellschaft und Moral, die die Handlung vorantreiben und zugleich den Charakter Lucien vielschichtig machen.
Panel-Pirouetten im Pfarrhaus
Stilistisch bleibt HABEMUS BASTARD alles andere als Standardware. Zeichner Sylvain Vallee fährt ein Panel-Feuerwerk auf. Die Figuren bieten mimisch und gestisch ein umfangreiches Spektrum. Auch die Farbgebung von Elvire de Cock bringt wieder schönes Spiel in Licht und Tiefe.
Lucien steht im Mittelpunkt. Sein Wandel zwischen Killerblick und Pfarrergesicht funktioniert – mal abgebrüht, mal unbeholfen, dann wieder listig oder überraschend sanft. Der Comic nimmt uns mit auf eine wilde Achterbahnfahrt, wobei die Dramaturgie stets zwischen Krimikomödie und Gesellschaftssatire pendelt.
Mimik, Morde und Messwein
Die Dorfgemeinschaft wirkt als belebtes, oft skurriles Ensemble. Kein Nebencharakter bleibt farblos. Schwartzmann und Vallee liefern pointierte Dialoge, schnelles Timing und die nötige Ruhe für emotionale Momente. Die grafische Umsetzung konkurriert in manchen Panel-Battles beinahe mit Klassikern wie ES WAR EINMAL IN FRANKREICH und KATANGA.
Wer sich auf das Spiel zwischen dumpfer Dorfstube, der kirchlichen Milde und dem flackernden Schatten alter Sünden einlässt, wird reich belohnt. Es ist diese Mixtur, die den Comic frisch hält.
Ein Herz unter der Soutane
Die Serie HABEMUS BASTARD lebt vom Mut, Tabuthemen anzugehen und der respektlose Ton bleibt auch im zweiten Teil erhalten. Wer den ersten Band DAS NOTWENDIGE ÜBEL gelesen hat, merkt schnell: Lucien hat sich weiterentwickelt. Die Story bleibt überschaubar fokussiert, ihr Spannungsbogen schwingt zwischen Bedrohung und Vertrautheit.
Lucien’s Vergangenheit wird, anders als im ersten Band, weniger spektakulär abgehandelt, sondern schleichend und intelligent in die Dorfroutine eingewoben. Die Autoren schenken dem Leser aber keine einfache Auflösung, entwirren die verschiedenen, offenen Handlungsstränge aber zu unserer Zufriedenheit.
Der Comic wagt sich immer wieder an moralisch grenzwertige Situationen, jongliert mit den Erwartungen des Lesers und ist genau damit ein echtes Lesevergnügen.
Genüsslich sündigen
Der Humor bleibt stets präsent, wirkt aber niemals verharmlosend. Die Sünden der Hauptfigur werden nie ganz gewaschen, sondern schaffen den Stoff für neue Fragen und Twists. Wer das Vorgängerwerk kennt, erkennt eine konsequente Weiterentwicklung von Stil und Ton.
Die Serie ist ein Statement für Comics, die nicht moralinsauer belehren, sondern mit Charme und Biss unterhalten wollen. HABEMUS BASTARD tut dies.
Lesestoff für Ketzer und Kenner
HABEMUS BASTARD – 2 EIN HERZ UNTER DER SOUTANE ist mehr als eine Krimikomödie im Pfarrgewand. Hier werden Tabus gebrochen, Humor passgenau dosiert und grafisch alles gegeben. Wer es mag, Kirche und Gesellschaft mal kräftig durch den Kakao zu ziehen, der findet hier den idealen Lesestoff.
Die Panels fangen allerlei Nuancen ein, die Story überrascht bis zum Schluss. Ein besonderes Lob gilt dem mutigen Wechselspiel zwischen schwarzem Humor und leisen Zwischentönen. Die Serie HABEMUS BASTARD hat sich zu einem der spannendsten Experimente im aktuellen Comic-Markt entwickelt.
Fazit
Für Einsteiger wie Profis ist HABEMUS BASTARD eine klare Leseempfehlung, nicht zuletzt wegen der Fähigkeit, verschiedene Genre-Facetten gekonnt zu verbinden. Also, Soutane überwerfen, Leben riskieren und ab auf die Lesecouch: Diesen Comic sollte man nicht verpassen.
HABEMUS BASTARD – EIN HERZ UNTER DER SOUTANE (2 von 2)
© Splitter Verlag | Hardcover | 88 Seiten | Farbe
Storyline: ★★★★★
Zeichnungen: ★★★★★
Farben: ★★★★☆
Lettering: ★★★★☆
Humor: ★★★☆☆
Meine persönliche Bewertung: ★★★☆☆
ISBN: 978-3-96792-080-2
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