Der 1. September ist nicht nur der Geburtstag von Jhonen Vasquez (Comic-Künstler) und Ludwig XIV (ehemaliger König von Frankreich) oder im Jahr 1972 der Tag, an dem Bobby Fischer im Schach gegen Boris Spasski das „Match des Jahrhunderts“ gewann:
Nein, in jedem Jahr ist er auch der Tag der Anerkennung für die Schriftsetzer der neunten Kunst – der LETTERER APPRECIATION DAY.
Der Letterer Appreciation Day
Der Tag geht zurück auf den Geburtstag von Gaspar Saladino, dem amerikanischen Schriftsetzer und Logo-Designer, der mehr als 60 Jahre in der Comic-Industrie insbesondere bei DC Comics gewirkt hat. Der Tag soll der zumeist wenig beachteten Kunstform mehr Aufmerksamkeit in der breiteren Community verschaffen. Na ja – wir arbeiten noch daran, oder?
Was genau ist denn nun „Lettering“? Vereinfacht ausgedrückt ist es die Kunst, Buchstaben auf den Seiten einer fortlaufenden Erzählung so anzuordnen, dass die Geschichte erzählt wird, ohne den Leser oder die Leserin aus dem Konzept und die Geschichte selbst voranzubringen. Auf der Grundlage des vom Autor geschaffenen Scripts erstellt der Letterer alle – alle! – Textkomponenten.
Dabei beschränkt er / sie sich nicht allein auf die Sprechblasen / Bubbles / Balloons und die darin enthaltenen Gesprächsteile und Gedanken, sondern setzt auch Geräusche wie ZACK! RUMS! KLONK! visuell angepasst um. Kenntnisse in Seitenlayout und Typografie sind daher Grundvoraussetzungen, um in diesem Beruf erfolgreich zu sein.
Ein Blick in den Pinselkoffer
Warum hat sich eigentlich die Verwendung von GROSSBUCHSTABEN in den Sprechblasen durchgesetzt? Nun, das ergab sich in den frühen Jahren der Branche, als Comic-Strips überwiegend in Zeitungen, auf entsprechendem, teils minderwertigem Papier und in Kombination mit den damaligen Drucktechniken gefertigt wurden. Die Dialoge waren auf diese Weise einfach besser zu lesen.
Der Letterer ist zumeist der Letzte in einer langen Reihe von Kreativen. In den Anfangstagen wurde das Lettering mit Stift und Tusche direkt auf den Originalzeichnungen vorgenommen. Mittlerweile hat auch hier das digitale Zeitalter Einzug gehalten, selbst wenn einige Vertreter der Zunft ab und zu gerne noch einmal zur Tuschefeder greifen.
Beim Lettering spielt das Medium, in dem die sequentielle Erzählung umgesetzt wird, eine entscheidende Rolle. Es ist etwas anderes, ob der Comic im US-Standardformat von 16,8 x 26 cm, im üblichen Albenformat von 21 x 30 cm, in einem x-beliebigen Buchformat oder als Webcomics publiziert werden soll. Die Lesbarkeit hängt stark von den Fähigkeiten des Letterer’s und seinem Verständnis für das jeweilige Medium ab. Seine Arbeit muss sich harmonisch in die Zeichnungen einfügen lassen und den Lesefluss begünstigen.
Und dann gibt es ja noch das Problem, dass die Schriften im Original gegebenenfalls wunderbar in die Sprechblasen passen, die übersetzten Texte die Balloons der internationalen Ausgabe dann aber sprengen würden. Schriftgrößen lassen sich schließlich nicht unendlich verkleinern. Auch dafür haben Übersetzer und Letterer Lösungen.
Der Vater des LAD
Der Initiator des Letter Appreciation Day, Nate Piekos, selbst ein erfahrener Vertreter seiner Zunft, hat mit seinem Buch „The Essential Guide to Comic Book Lettering“ eines der Standardwerke zum Thema abgeliefert:
Well-crafted comic book lettering is the visual soundtrack that guides a reader’s eye along the page with emotive dialogue, intuitively placed ballons, and dynamic sound effects … but these elements are just beginning for the professional letterer. (Verlagstext)
„Eine gut gestaltete Comic-Schriftsetzung ist der visuelle Soundtrack, der den Blick des Lesers mit emotionalen Dialogen, intuitiv platzierten Sprechblasen und dynamischen Soundeffekten über die Seite führt … aber diese Elemente sind für den professionellen Schriftgestalter erst der Anfang.“
Wenn ich an diesem Buch etwas kritisieren müsste, wäre es, dass uns Piekos nicht beibringt, wie man Schriftarten i.e. Fonts erstellt. Andererseits ist dieses Feld einfach viel zu weit, die Möglichkeiten zu zahlreich, als dass sie in diesem Buch Platz finden könnten. Also ist das in Ordnung, denn alles andere, was es zum Thema „Lettering“ zu wissen gibt, wird in seinem Werk angesprochen.
Viele der How-To-Werke sind leider nicht auf Deutsch erschienen und liegen lediglich im englischen Original vor. Zu diesen Werken gehören – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – u.a.
- COMIC BOOK LETTERING: THE COMICRAFT WAY von Richard Starkings und John Roshell (ein praxisnahes Buch von den Profis der berühmten Comicraft-Schmiede, die für ihr digitales Lettering bekannt sind)
- THE DC COMICS GUIDE TO COLORING AND LETTERING COMICS von Mark Chiarello und Todd Klein (Todd Klein bietet tiefe Einblicke in die professionelle Arbeit)
- MASTERING COMICS von Jessica Abel und Matt Madden
- WORDS & WRITING PICTURES mit einem guten Abschnitt über Lettering-Techniken
- COMICS & SEQUENTIAL ART von Will Eisner (der Altmeister hatte zu dem Thema auch schon etwas zu sagen)
Meine Rezensionen
In meinen Rezensionen bewerte ich das jeweilige Lettering hier und da gerne. Zumeist beziehe ich mich dabei auf die Lesbarkeit der verwendeten Schrift(art), weniger auf die Anordnung oder Verwendung der Sprechblasen und Captions.
Ich liebe gute Szenarien, schöne Illustrationen und flüssige Erzählungen. Wenn das Lettering dabei zum Hemmschuh wird und den Flow stört, werde ich bestimmt etwas dazu sagen. In jedem Fall habe ich eine eigene Kategorie in meiner Sterne-Bewertung vorgesehen.
So, zur Feier des LETTERER APPRECIATION DAY holen wir jetzt alle einmal unseren Lieblings-Comic aus dem Regal und versuchen alle Aspekte des Lettering in diesem Werk zu finden und wert zu schätzen. Auf die Plätze … fertiig … LOS! Viel Spaß dabei!
Ach ja, ein kleiner Hinweis aus der Kategorie Nice-To-Know-Sonst-Aber-Unwichtig zum Schluss:
Für den Buchstaben „I“ gibt es im Englischen beim Lettering zwei Varianten. Mit und ohne „Querlatte“ am oberen und unteren Ende, also als Serif oder Sans Serif. Die sogenannten Crossbars werden dann laut dieser Quelle verwendet, wenn das „I“ als Personalpronomen „Ich“ verwendet wird. Alle übrigen Verwendungen des neunten (!) Buchstabens sind dann üblicherweise ohne Serifen im Einsatz.
Und so haben wir am LETTERER APPRECIATION DAY dann doch noch etwas gelernt…
Bildreferenzen:
Verwendete Fotos von Erik Mclean, von Jonathan Cooper und von Emre Turkan auf Unsplash