Wir schreiben das Jahr … das Jahr … ach, was weiß denn ich!? Es ist die Blütezeit der Piraterie in der Karibik, also irgendwann Ende des siebzehnten, Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Das Leben der Piraten besteht aus den üblichen, tagesfüllenden Beschäftigungen: segeln, rauben, brandschatzen, Schätze vergraben, Rum, Wein, Weib und Gesang. Ausser natürlich man heisst Campbell, ist allein-erziehender Vater eines Teenagers und einer vorlauten Göre und hat einen Alltag, der von ganz anderen Terminen bestimmt wird.
Im ersten Band der Reihe DIE CAMPBELLS erzählt uns Jose Luis Munuera als Szenerist und Zeichner in kleinen Episoden vom – nicht immer einfachen – Alltag eines Vaters, der sich mit den üblichen Problemen herumschlagen muss, die nun einmal auch im Paradies nicht wegzutrinken sind. Schließlich bedeuten auch im Paradies weder pubertierende Töchter noch vorlaute Heranwachsende einen entspannten Feierabend.
Man(n) hat man als Piratenlegende einen Ruf zu verlieren und muss jeden Tag für die Familie Essbares auf den Tisch bekommen. Und so möchte Vater Campbell zwar seinem alten Leben abschwören, muss aber gleichzeitig mangels besserer Ausbildung auf seinen reichen Erfahrungsschatz als Piratenkapitän zurückgreifen. Seine Mädels werden dabei keineswegs verhätschelt, sondern unterstützen ihren alten Herrn mit Witz und Chuzpe bei seinen Unternehmungen.
Ach ja, und dann ist da noch Inferno, die namensgebende Person des ersten Bandes und weiterer Piratenkapitän, ein Antagonist der bösen Sorte und einer, der – wie wir später erfahren – ebenfalls zur Familie gehört. Nur dass man sich gegenseitig einfach nicht riechen kann. (Einen Einblick, woran dies liegt, bekommen wir später im Laufe der Erzählung.)
Die Handlung spielt überwiegend in der Gegenwart, wechselt aber immer wieder auch in vergangene Zeitebenen, um die Vorgeschichte(n) der Familie zu erzählen und die Figurenentwicklung voranzutreiben. DIE CAMPBELLS (Vater Campell, Itaca, die größere der Schwestern und Genova, die jüngste) und alle Nebenfiguren sind dabei differenziert gezeichnet (bildlich und im übertragenen Sinne) und tragen die einzelnen Kurzgeschichten gut voran.
Jose Luis Munuera bildet bei seinem Szenario das gesamte Klischee-Spektrum des Piratenkosmos mit einem zwinkernden Auge ab. Natürlich gibt es die schlauen Freibeuter, die (wirklich) dämlichen Piraten wie Carapepino, große Schiffe und kleine Boote, in denen die Charaktere aufs Meer hinaus segeln. Es werden Haie und sogar ein Krokodil bemüht. (Hier macht Munuera eindeutig Anleihen bei Peter Pan und nutzt Piratenkapitän Inferno gleichzeitig als Hook-alike – sorry, den konnte ich mir wirklich nicht verkneifen! Und wie wir inzwischen wissen, kommt er zehn Jahre später wieder zu diesem verlorenen Jungen zurück).
Auch wenn der Comic auf den ersten Blick wie ein Funny daherkommt und der Humor sichtlich im Vordergrund steht, spricht Munuera zwischen den Zeilen auch ernste Themen an. Alleinerziehende Väter, Verlust der Mutter, Familienstreit, neue Beziehungen für jung und alt oder Ausgrenzung von Randgruppen? Alles da. Darum sind die Bände vielleicht für Kinder geeignet, erwachsene Leser werden zwischen unter der Oberfläche aber auch andere Dinge mit Tiefgang erkennen. Und – nicht zu vergessen: die Frauenfiguren sind nicht nur vorhanden, sondern stark und tragen intensiv zur Handlung bei.
Die anfänglichen Kurzgeschichten entwickeln sich im Laufe der Zeit zu einer umfangreichen, charakterlich und emotional anspruchsvollen Achterbahnfahrt. Der Kniff mit diesen Shorts lässt uns mit den verschiedenen Figuren schnell warm werden, sodass es auch relativ schnell ans Eingemachte gehen kann.
Zeichnerisch ist Jose Luis Munuera sehr detailliert unterwegs. Zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere ist die Linienführung sehr klar und das Spiel mit der Tusche auf das Nötigste begrenzt. Die gefällige, abwechslungsreiche Kameraführung in der Aufteilung der Panel, die häufig detailliert ausgestalteten Hintergründe und die teils satte, teils zarte Kolorierung (von Seydas) sind auf hohem Niveau und unterstützen Erzählweise und – tempo. Hier hat jemand viel Enthusiasmus, Zeit, Arbeit und Schweiß in ein Projekt gesteckt. Das merkt man.

Dass Munuera im frankobelgischen Comic-Kosmos zuhause ist, lässt sich nicht verleugnen. Eindeutige Reminiszenzen finden sich zu Morris (Lucky Luke) und Rene Goscinny (Asterix, Lucky Luke, Umpah-Pah), insbesondere wenn vier Gauner in gelb-schwarz-gestreifter Häftlingskleidung unter den Umhängen eine verdiente Abreibung bekommen. Die Daltons lassen grüßen. Und politisch korrekt sind manche der Geschichten aus heutiger Sicht auch nicht mehr. Oder wie soll man die Lepra- / Aussätzingen-Kolonie mit glücklichen Einwohnern sonst sehen, wenn man … hoppla, gehört der Finger da noch jemandem? Nein? Gut, sei’s d’rum. Wo war ich? Ach ja!
Munuera hat diese Reihe 2014 begonnen und die Geschichte der CAMPBELLS mit dem ersten Episodenband auf eine solide Grundlage gestellt. In den kommenden vier Bänden wird die Familiengeschichte immer weniger slapstickhaft erzählt, dafür reifer, abenteuerlicher, emotional anspruchsvoller und insgesamt verzwickter. Verzwickter, aber für uns als Leser nicht verwirrender. Hierin zeigt sich der gute Geschichtenerzähler Munuera.
In der gesamten Reihe scheint schon die erzählerische Kraft eines Jose Luis Munuera durch, die sich in späteren Werken noch weiter verfestigen wird und ihn zu einem wirklich großartigen Geschichtenerzähler und Comic-Künstler werden lässt (auch jenseits seiner bekannteren, künstlerischen Qualitäten von Spirou und Co.). Er selbst sagt 2017 in einem Interview gegenüber Europe Comics:
„Die Zeitschrift Spirou bat mich, eine Kurzgeschichte über Piraten zu schreiben, und so schrieb ich das erste Kapitel. Danach habe ich das Universum Kapitel für Kapitel weiterentwickelt und dann eine Nebenhandlung (die Beziehung zwischen den beiden Piratenbrüdern) hinzugefügt, die schließlich zum Haupthandlungsstrang wurde.
Bei dieser Serie bin ich völlig frei, habe die Kontrolle über das Script und die Zeichnungen. Ich erlaube mir viel Improvisation und gönne mir eine ganze Reihe von atemberaubenden Bildern, Slapstick-Action und wildem Blödsinn – aber ich nehme die Struktur der gesamten Serie auch sehr ernst.
Mein Ziel ist es, glaubwürdige Charaktere mit komplexen Persönlichkeiten zu schaffen, mit denen sich der Leser identifizieren kann. Und Humor und Action mit tieferen emotionalen Sequenzen zu mischen.“ [1]
Häufig ist es so, dass der Szenerist über den Zeitraum einiger Bände den roten Faden – und seine Leser – verliert. Munuera passiert dies nicht. Seine Geschichte lässt mit jedem Band die Vorfreude auf den kommenden wachsen. Und zum Schluss? Ja, zum Schluss ist das Abenteuer rund und alle Fäden sind verknüpft. Auch, wenn uns Lesern die befriedigende Erfahrung eines Happy-Ends nicht gegeben wird.
Aber genau aus diesem Grund gehören DIE CAMPBELLS für mich zu den besten Comics der vergangenen Jahre. Sie sind ein Geheimtipp unter den Freunden der neunten Kunst. Und von mir gibt es daher Bestnoten und eine klare Leseempfehlung.
Schade nur, dass die Bände weitestgehend vergriffen zu sein scheinen und somit einem breiteren Publikum nicht mehr zur Verfügung stehen. Wer Interesse hat sollte die Hoffnung aber nicht aufgeben und im nächsten Comic-Laden nachfragen. Wer weiß? Dort gibt es vielleicht den einen oder anderen Schatz an gut zu merkenden Orten zu entdecken …
DIE CAMPBELLS – 1. Inferno (2014)
Die Reihe endet mit Band 5:
![]() 2. Der berüchtigte Pirat Morgan (2014)
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![]() 3. Gekidnappt! (2015)
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![]() 4. Das Gold von San Brandamo (2016)
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![]() 5. Die drei Flüche (2018)
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