HALLIMASCH entführt uns auf einen Wochenendtrip nach Leipzig, der für die Protagonisten Dietz und Volker rückblickend zum Prüfstein ihrer langjährigen Freundschaft gerät. Dietz, ein mittelalter Ingenieur aus Düsseldorf, ist ein typischer Durchschnittstyp: verheiratet, zwei Töchter, Trainer im örtlichen Judo-Verein. Das Leben läuft in geregelten Bahnen.
Sein Gegenpart Volker ist Musiker, ein notorischer Langfinger und hat mit seiner abseitsstehenden Eigenwilligkeit die Rolle des Provokateurs inne.

Gemeinsam machen sich die Beiden auf den Weg, um ihren alten Schulfreund Acki zu besuchen, eine scheinbar banale, etwas sentimentale Unternehmung. Doch wie so oft ist die Realität weniger zugänglich als erwartet.

Die Suche nach Acki
Acki empfängt seine Schulkameraden nicht wie (vermeintlich?) vereinbart und seine neue Adresse bleibt ein Rätsel. Was tatsächlich besprochen wurde und was nur in der persönlichen Gewissheit von Dietz existiert, bleibt sowohl uns – als auch den Beiden – unklar.
Jedenfalls sind Dietz und Volker nach der Ankunft erst einmal auf sich alleine gestellt. So hangeln sich die beiden ersatzweise durch Leipziger Kneipen, Museen und Erinnerungen, um die Zeit totzuschlagen, bis sich ihr Kumpel meldet.
Baitinger inszeniert diese Suche als ein Spiel aus Absurditäten und kleinen Eskapaden, darunter der Diebstahl eines antiken Schwertes durch Volker. Die Stimmung schwankt immer wieder zwischen eigenwilligem Humor und Tragik. Die narrativen Schwerpunkte wechseln subtil zwischen nostalgischen Rückblicken, unaufgeregtem Alltag und einem Gefühl der Entfremdung – nicht nur von Acki, sondern auch voneinander und vom eigenen Selbst. Von Anfang an spüren wir eine deutliche Melancholie, die durch lakonischen Witz unterbrochen wird.

Drei Männer, drei Welten
Im Zentrum von HALLIMASCH stehen die zentralen Figuren Dietz und Volker. Ihre Dynamik ist geprägt von unausgesprochenen Vorwürfen, alten Ritualen voller Leerlauf und Dietz‘ mühsamer Suche nach neuen Verbindungslinien. Dietz versucht die Stimmung mit routinierten Sprüchen und bemühtem Optimismus zu retten, während Volker in seinem kränkelnden, trotzig-lauernden Dasein die Schattenseiten der Vergangenheit und Gegenwart verkörpert.
Acki glänzt durch Abwesenheit, ein Spielball der Erinnerung und der Wünsche – nach Nähe, nach Bestätigung, nach einer Brücke zu früheren Zeiten.

Figuren zwischen Sehnsucht und Ernüchterung
Erst spät kommt Nachricht von Acki und selbst danach bleibt er ein größtenteils schemenhafter Charakter. Die Hoffnung, dass mit ihm alles besser oder zumindest gut wird, schwindet.
Die eigentliche Handlung strebt jedoch weniger nach äußerer Bewegung als nach innerer Erkenntnis: Wie viel „Freundschaft“ hält das echte Leben noch aus, wenn Routine, Entfremdung und verpasste Chancen die Oberhand gewinnen? Die narrative Struktur von HALLIMASCH ist entsprechend zurückhaltend und arbeitet mit Ellipsen, Leerstellen und bewusst unspektakulären Szenen.

Abstufungen von Blässe
Und mir fehlt in diesem Werk damit jegliche Dynamik, die Comics zu meinen präferierten Medien machen. Selbst der Diebstahl des Schwertes durch Volker, bringt keine Spannung. Volker entwendet das gute Stück einfach so, weil er es kann und niemandem scheint es aufzufallen. Konsequenzen für die Geschichte? Keine.
Dietz ist die einzige, wirklich herausgearbeitete Figur. Sie trägt die Erzählung. Volker kränkelt herum, schweigt, ist dabei. Mehr nicht. Währenddessen glänzt Acki durch körperliche Abwesenheit, erscheint anfangs nur in Dietz‘ Erinnerungen und soll doch die zentrale Figur sein, um die es bei dieser Buddy-Tour geht.
Die gesamt Erzählung wirkt darum wie ein „Warten auf Godot“ für Anfänger. Ihr fehlt Action, echte Konflikte und Identifizierungspotential mit den Charakteren. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass Dietz und Volker nach dem Wochenende unverrichteter Dinge wieder den Heimweg antreten. Eine Heldenreise sieht anders aus.

Was Baitinger ausmacht
Max Baitinger ist in der deutschsprachigen und internationalen Comic-Szene kein Unbekannter. Als Zeichner und Szenarist gilt er machen als Meister der Zwischentöne. Seine Werke sind geprägt von lakonischem Humor, subtilen Absurditäten und visueller Entschleunigung.
Neben HALLIMASCH sind insbesondere seine Graphic Novels HEIMDALL und RÖHNER bekannt geworden. HEIMDALL setzt sich mit nordischen Sagenfiguren und ihren Brüchen auseinander, während RÖHNER das Alltagsleben und zwischenmenschliche Beziehungen seziert.

Baitinger’s Bildsprache ist reduziert, wirkt wie aus dem Handgelenk auf das Papier geworfen, die Striche mit wenigen Aquarellfarben flüssig gesetzt. Allerdings muss ich sagen: Diese Art der Darstellung spricht mich nicht wirklich an.
Insbesondere die Aufarbeitung der Bewegungen, mit mehreren Armen und Beinen am gleichen Körper, in der Ausprägung nicht differenziert, sodass sich eine echte Bewegung lediglich erahnen lässt, haben mich in diversen Abschnitten eher verwirrt als begeistert. Falls, wie in einigen Kritiken nachzulesen, seine Stärke die Kunst des Weglassens ist, wird sie an diesen Stellen nicht gelebt.

Zeichentechnik und visuelle Ebenen
Baitinger arbeitet mit markant geometrischen Figuren, deren Reduktion mich zu kühler Distanz verleitet und nie wirklich mein Interesse an den Charakteren geweckt hat. Auch die einfach und einfarbig gehaltenen Bildebenen haben nicht dazu geführt, dass ich mich länger in einzelnen Darstellungen aufhalten wollte. Die 200 Seiten des Buches waren in einem Rutsch und innerhalb kürzester Zeit durchpflügt.

Fazit
HALLIMASCH ist kein Comic, der mich auffordert, inne zuhalten, weder in der Handlung noch in der Wahrnehmung. Vieles bleibt an der Oberfläche, eine bewusste Verweigerung von Katharsis und erzählerischer Zuspitzung. Die Konzentration auf die kleinen Momente und subtilen Absurditäten des Alltags ist gleichzeitig Stärke und Schwäche des Werks: Einerseits schafft Baitinger eine oberflächliche Atmosphäre und damit eine Authentizität, die gut zum Thema passt. Andererseits riskiert er die Gefahr der Belanglosigkeit, wenn die Handlung auf kaum mehr als das Verstreichen eines Wochenendes hinausläuft.
Auch das Motiv der Freundschaft wird weitgehend als Idee verhandelt, weniger als gelebte Realität. Die Figuren bleiben rätselhaft, mögliche Antworten fragmentarisch.
Die visuelle Umsetzung wirkt durch ihre flache Geradlinigkeit, kann dadurch aber auch distanziert oder gar unterkühlt wirken. Für Strips-Leser und klassische Graphic-Novel-Fans bietet der Comic wenig spektakuläre Wendungen, aber viel Raum für stille Reflexion, falls wir das behandelte Thema interessant finden sollten.

P.S.
Der namensgebende HALLIMASCH – oder auch Honigpilz – gehört zu den Speisepilzen und ist ungekocht unbekömmlich. Auch können gelegentlich, trotz korrekter Zubereitung, Unverträglichkeitsreaktionen auftreten. – Ja, stimmt …
HALLIMASCH
© Reprodukt Verlag | Softcover | 200 Seiten | Zweifarbig
Storyline: ★☆☆☆☆
Zeichnungen: ★★☆☆☆
Farben: ★★☆☆☆
Lettering: ★★☆☆☆
Humor: ★☆☆☆☆
Meine persönliche Bewertung: ★★☆☆☆
ISBN: 978-3-95640-448-1




