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MANGA – von Samurai, Schuluniformen und Superkräften

Wenn man in der U-Bahn von Tokio sitzt, fällt sofort etwas auf. Alle lesen. Aber nicht etwa dicke Romane, sondern kleine Büchlein mit schwarz, weißen oder bunten, oft wild gezeichneten Figuren. Manche lachen, andere weinen. Offensichtlich eine Lektüre auch für Zwischendurch, von Haltestelle zu Haltestelle. Willkommen in der Welt der MANGA!

Auch in deutschen Buchhandlungen, Drogerien oder Einkaufsläden finden sich neben den üblichen Waren immer öfter Ständer mit den aktuellsten Bilderbüchlein erfolgreicher, asiatischer Serien. Immer wenn ich vor einer solchen Wand mit Dutzenden Bänden stehe und die Trennschilder mit den unterschiedlichen Kategorien sehe, fühle ich mich von dieser Vielfalt erschlagen. Was ist das alles? Ist das alles etwas für mich? Oder nur bestimmte Ausgaben? Wer soll denn da den Überblick behalten? Manga? Manhwa? Shōnen? Häää?

So ging das nicht weiter. Also habe ich mich als alternder Comic-Begeisterter ohne Zugang zur MANGA-Welt einmal auf den Weg gemacht, um mir die Unterschiede anzuschauen. Man(n) lernt schließlich nie aus. Also:

MANGA bedeutet frei übersetzt etwa „flüchtige Bilder“ und ist heute nicht nur eine Kunstform, sondern ein globales Phänomen. Ob Jugendliche in Europa, junge Erwachsene in den USA oder Leserinnen und Leser in Lateinamerika: Überall finden sich Fans, Costume Player (= Cosplayer) und MANGA-Clubs. Was dabei oft vergessen wird, Japan ist zwar das Ursprungsland, aber längst nicht das einzige Land mit einer lebendigen Comic-Kultur: in Korea gibt es die MANHWA (만화) und in China die MANHUA (漫画), die beide in den letzten zwei Jahrzehnten stark an internationalem Gewicht gewonnen haben.

Bildergeschichten, die um die Welt gingen

Dieser Blogbeitrag nimmt Dich mit auf eine kleine Weltreise durch die Bildgeschichten Asiens. Fangen wir mit der Entstehungsgeschichte an und klären, warum MANGA heute nicht mehr nur Lesestoff, sondern ein Lifestyle geworden sind. Keine Angst: Du musst weder japanische Grammatik meistern noch ein Kalligrafie-Diplom haben. Alles kommt leicht verdaulich serviert und ideal für – uns – Neulinge, die sich wie ich fragen, ob „Shojo“ eine Nudelsorte oder doch eine MANGA-Gattung ist.

Von buddhistischen Rollbildern bis Astro Boy

Die Wurzeln des MANGA führen weit zurück. Streng genommen finden sich erste bildhafte Erzählungen bereits im 12. Jahrhundert. Hierbei handelt es sich um sogenannte „Emakimono“, lange Bildrollen, die Szenen aus dem Alltag oder der Religion darstellen. Besonders berühmt ist das „Choju-giga“, eine Bilderrolle mit tanzenden Fröschen und Kaninchen, die bereits erstaunlich komisch wirkt. Man könnte sagen, dass es sich hierbei um den ersten Cartoon-Slapstick Japans handelt, nur ohne Streaming-Abo.

Osamu TezukaIm 18. und 19. Jahrhundert kam der Farbholzschnitt Ukiyo-e auf, jene schönen Drucke von Geishas und Landschaften, die heute in Museen hängen. Einer der wichtigsten Vertreter, Katsushika Hokusai, benutzte erstmals den Begriff MANGA, um seine lockeren Skizzen zu betiteln.

Doch erst im 20. Jahrhundert nahm das MANGA-Phänomen richtig Fahrt auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg brannte Japan auf Ablenkung und Unterhaltung. Hier trat Osamu Tezuka auf den Plan, der von Fans ehrfürchtig auch der Gott des MANGA genannt. Mit seinem Werk ASTRO BOY (im Original TETSUWAN ATOMU) erschuf er einen Science-Fiction-Helden, der nicht nur kindgerecht war, sondern auch komplexe moralische Fragen stellte. Tezuka revolutionierte die Panelgestaltung, ließ die Bilder filmisch fließen und setzte damit Maßstäbe, die bis heute gelten.

Spätestens ab den 1960er-Jahren wurde MANGA ein Massenphänomen, mit dicken Wochenausgaben, die Millionenauflagen erreichten. Von diesem Fundament aus breitete sich die Kunstform in alle Genres und Zielgruppen aus – und zur Überraschung des Westens bald auch weit über die japanische Insel hinaus!

DRAGON BALL_CoverMANGA erobern die Welt

Während MANGA in Japan längst zum Alltag gehörten, war der Westen zunächst skeptisch. In den 1980er- und 1990er-Jahren schwappte die Welle zuerst durch Anime-Serien im Fernsehennach Europa und Nordamerika. Wer heute zwischen 25 und 40 ist, erinnert sich sicher an Nachmittage mit SAILOR MOON, DRAGON BALL oder POKEMON. Meist kamen diese Geschichten zuerst als Anime (eine Art asiatischer Zeichentrickfilm), bevor man entdeckte „Moment – DAS gibt’s ja auch als MANGA!“

Parallel dazu erwachten auch andere asiatische Länder. In Südkorea entwickelten sich MANHWA, die anfangs noch stark japanisch inspiriert waren, aber sehr schnell eigene Wege gingen. Heute gibt es vor allem die digitalen Webtoons, die man bequem mit vertikalem Scrollen statt klassischem Umblättern auf dem Smartphone liest. Titel wie SOLO LEVELING oder TOWER OF GOD wurden globale Erfolge.

Und dann natürlich China. Obwohl dort die Comic-Kultur durch politische Zensur manches Mal gebremst wurde, entstanden großartige MANHUA, die sich oft historischen Stoffen widmen oder bei Martial-Arts-Themen bedienen. Serien wie THE KING’S AVATAR oder BATTLE THROUGH THE HEAVENS zeigen, dass chinesische Künstler längst ein internationales Publikum ansprechen.

Heute ist die Lage klar: Was früher eine exotische Nische war, ist zum Mainstream geworden. Nicht selten finden sich MANGA in den Bestsellerlisten neben Romanen von Literaturnobelpreisträgern. Und wenn man bedenkt, dass NETFLIX Serien wie ONE PIECE oder YU YU HAKUSHO (ein Geisterdetektiv jagt Dämonen) als Realfilm-Adaptionen produziert, ist klar: Das Bilderlesen aus Asien ist längst zu einem maßgeblichen Teil der globalen Popkultur aufgestiegen.

NARUTO_CoverShōnen: Die Helden der Jugend

Zeit für die Stil-Richtungen! Beginnen wir mit dem Shōnen (少年, wörtlich Junge). Wie der Name schon verrät, richtet sich dieses Genre primär an Jungs zwischen etwa 12 und 18 Jahren, wobei längst auch Millionen Mädchen und Erwachsene mitlesen.

Was kennzeichnet Shōnen? Ganz klar Action, Abenteuer, Freundschaft und Durchhalteparolen. Der typische Held ist jung, hat große Träume, beginnt als Außenseiter und kämpft sich mit Entschlossenheit nach oben. Oft gibt es Rivalen, härter werdende Gegner und natürlich epische Kämpfe. Der Soundtrack dazu läuft quasi im Kopf automatisch mit.

Beispiele für diese Richtung sind DRAGON BALL von Akira Toriyama (Goku und seine Freunde auf der Suche nach mystischen Kugeln), NARUTO von Masashi Kishimoto (ein Junge, der Dorfoberhaupt werden möchte, meistert dabei Ninja-Fähigkeiten) oder ONE PIECE von Eiichirō Oda (die neben dem FLUCH DER KARIBIK wohl bekannteste Piratenabenteuergeschichte unserer Zeit, die inzwischen seit Ende der 1990er-Jahre andauert).

Die Formel dahinter ist einfach, aber wirkungsvoll: Helden müssen nicht perfekt sein – solange sie nicht aufgeben!

Shōnen hat den MANGA international bekannt gemacht. Es gibt sogar ein eigenes Magazin, das „Shōnen Jump“, das seit Jahrzehnten das epische Sprungbrett für unzählige Serien ist.

Shōjo: Liebe, Glitzer, Freundschaft

Auf der anderen Seite gibt es Shōjo (少女, Mädchen). Dieses Genre richtet sich nominell an Mädchen und junge Frauen im Teenager-Alter. Aber auch hier gilt, dass die Grenzen fließend sind und Jungs die Stoffe längst genauso begeistert lesen.

Shōjo bedeutet bunte Welten, elegante Zeichnungen, große Augen (ja, noch größer!) und Emotionen, die von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt reichen. Typische Themen sind Freundschaft, erste Liebe, Selbstfindung, sowie manchmal Magie und Zauber.

Berühmte Beispiele sind SAILOR MOON von Naoko Takeuchi (Magische Mädchen in Schuluniformen, die gegen das Böse kämpfen und dabei gleichzeitig Mathe-Tests bestehen müssen), FRUITS BASKET von Natsuki Takaya (eine romantische Komödie mit einer Familie, die durch einen Fluch in Tiergestalten verwandelt wird) oder OURAN HIGH SCHOOL HOST CLUB von Bisco Hatori (ein ironisches Spiel mit Rollenbildern, Liebe und Verwechslungen in einem Eliteschulclub).

Shōjo-MANGA sind ein großer Exporterfolg, nicht zuletzt, weil sie oft universelle Themen wie Selbstfindung oder erste Liebe behandeln. Zudem überschneiden sie sich immer öfter mit Shōnen-Elementen. Heute gibt es starke Heldinnen, Action-Szenen und komplexe Handlungsstrukturen, die weit über das alte Mädchen-trifft-Junge-Schema hinausgehen.

VAGABOND_CoverMANGA für Erwachsene: Seinen …

Doch MANGA sind keineswegs nur für Jugendliche gedacht. Ab einem gewissen Alter will man vielleicht keine Schuluniformen oder Superkräfte mehr sehen, sondern Geschichten, die näher an der Realität sind. Hier kommen zwei weitere Sparten ins Spiel: Seinen (青年, junger Mann) und Josei (女性, Frau).

Seinen richtet sich an Männer ab etwa 18 Jahren, oft mit dunkleren, komplexeren Themen. Gewalt, Politik, Gesellschaftskritik oder tiefe psychologische Analysen sind normal.

Beispiele hierfür sind Serien wie BERSERK von Kentarō Miura (ein düsteres Fantasy-Epos um den Schwertkämpfer Guts, bei dem Schauspieler Kenau Reeves Vorbild ist, brutal, tragisch und künstlerisch monumental), MONSTER von Naoki Urasawa (ein Thriller, der in Deutschland spielt und Fragen nach Moral und Schuld stellt) oder GHOST IN THE SHELL von Masamune Shirow (Cyberpunk, Künstliche Intelligenz und philosophische Identitätsfragen).

… und Josei

Josei dagegen richtet sich an ein erwachsenes weibliches Publikum und zeigt oft Liebesgeschichten mit realistischem Blick auf Beziehung, Beruf und Alltag.

Beispiele sind NANA von Ai Yazawa (über Freundschaft, Liebe und die Höhen und Tiefen der Jugend in Tokio) oder HONEY AND CLOVER von Chika Umino (eine bittersüße Geschichte um Studenten, erste Jobs und das Erwachsenwerden).

Beide Kategorien zeigen, dass MANGA genauso tiefgründig, komplex und literarisch sein können wie klassische Romane oder Filme.

MANHWA: Koreas Webcomic-Wunder

Nun richten wir den Blick nach Korea. MANHWA bedeutet dasselbe wie MANGA, also schlicht „Comic“. Aber die moderne MANHWA-Szene unterscheidet sich deutlich von der japanischen.

Besonders prägend war die digitale Revolution. Während in Japan lange klassische Taschenbücher dominierten, setzte Korea früh auf Online-Plattformen. Webtoons boomten. Man scrollt auf dem Handy einfach endlos weiter, Panels sind für vertikale Darstellung optimiert und Farben sind Standard statt Ausnahme.

Berühmte Beispiele sind TOWER OF GOD von SIU (ein epischer Fantasy-Aufstieg durch einen mysteriösen Turm), SOLO LEVELING von Chugong (ein schwacher Jäger, der plötzlich beispiellose Kräfte erhält) oder THE BREAKER (ein Martial-Art-MANHWA, der Spannung und Humor verbindet).

MANHWA sind international nicht nur als Lesevergnügen beliebt, sondern oft als Grundlage für K-Dramen. Manche Webcomics werden eins zu eins als Realserien umgesetzt, wodurch die Reichweite faktisch explodiert.

Korea hat damit einen eigenen Weg gefunden. Während MANGA historisch gewachsen und verwurzelt sind, wirkt MANHWA wie das Kind des Digitalzeitalters, flexibel, global und mobil-first.

MANHUA: Bilder aus dem Reich der Mitte

China blickt auf eine lange Tradition bildlicher Erzählkunst zurück, von Tuschezeichnungen bis hin zu politischen Karikaturen. Der Begriff MANHUA (漫画) existiert wie der japanische MANGA schon lange und wurde in der Moderne vor allem für Comics verwendet.

Lange Zeit stand die Szene unter strenger staatlicher Aufsicht, weshalb die verarbeiteten Themen oft vorsichtiger gewählt wurden. Doch seit den 2000er-Jahren entwickelt sich auch im Land der Mitte eine lebendige, eigenständige Comic-Szene.

Viele MANHUA basieren auf Online-Novels (Romane, die kapitelweise im Internet veröffentlicht werden) und tragen stark romantische, historische oder fantastischen Züge.

Bekannte Beispiele sind THE KING’S AVATAR von Quan Zhi Gao Shou (über einen E-Sport-Profi, der sich ins Gaming zurückkämpft), BATTLE THROUGH THE HEAVENS von Dou Po Cangqiong (ein opulentes Fantasy-Abenteuer mit Martial Arts) oder FOX SPIRIT MATCHMAKER (romantisch, verspielt und enorm populär in Asien).

Während MANGA und MANHWA noch stärker in Serien- und Printformaten gedacht wurden, vernetzen sich MANHUA schnell mit Animation und Online-Plattformen. Chinesische Werke erreicht man heute weltweit über Streamingdienste oder Übersetzungen im Netz. Damit schließt China in Riesenschritten zu dem einstmals japanisch dominierte Comic-Universum auf.

Und wer Manhwa und Manhua immer noch nicht auseinander halten kann, merkt sich einfach das „W“ der Webtoons der Koreaner in Manh(w)a und … Zack, Eselbrücke fertig! (auf japanisch: Nīmonikku kansei ニーモニック完成!)

MANGA als globales Kulturerbe

HIKARU NO GO_CoverAm Ende unserer Reise wird klar: Ob Shōnen-Piraten, Shōjo-Zauberinnen, düstere Seinen-Fantasy oder scrollbare Webtoons: Asien’s Bildergeschichten sind ein eigener Kosmos. Was als „seltsame Zeichnerei“ begann, ist heute Mainstream-Kultur.

MANGA, MANHWA und MANHUA funktionieren wie Spiegel der Gesellschaften, in denen sie entstehen. Während MANGA mit ihrer Vielseitigkeit jahrzehntelang die Blaupause lieferten, zeigen MANHWA, wie ein Land seine digitale Innovation in Popkultur umsetzt. MANHUA wiederum fügen eine Mischung hinzu aus Onlinekultur, Tradition und staatlichem Rahmen, manchmal gebremst, manchmal überraschend frei.

Alle zusammen bilden sie einen kulturellen Export, der weit über buntes Papier hinausgeht. Sie beeinflussen Mode, Musik, NETFLIX-Produktionen und sogar die Sprache Jugendlicher weltweit.

Und egal, ob man mit DRAGON BALL aufgewachsen ist, gerade SOLO LEVELING durchscrollt oder sich für die nächste K-Drama-Anpassung eines MANHUA freut, man ist Teil einer globalen Fangemeinde. Eine, die zeigt: Geschichten brauchen keine Grenzen, solange sie großartige Bilder haben. Und diese Gemeinschaft mit der ihr eigenen Subkultur aus Cosplayern tritt seit Jahren auf Comic- und Manga-Messen, aber auch auf Düsseldorf’s Japan-Tag verstärkt in Erscheinung.

Ich selbst habe nur einen MANGA wirklich gelesen, verschlungen um ehrlich zu sein: HIKARU NO GO (ein Junge wird vom Geist eines GO-Meister besessen und lernt das Spiel, obwohl er hierzu eigentlich keine Lust hat und bringt es zur Meisterschaft). Aber das lag damals wohl an meiner Begeisterung für das Spiel…

Also: Wer sich je fragte, ob MANGA nur „Kinderkram“ ist, darf beruhigt sein. Es ist längst Weltliteratur in Bildern. Nur mit mehr Laserstrahlen, fliegenden Fäusten und romantisch funkelnden Augen. Comics haben da in unserer Welt leider immer noch einen schweren Weg vor sich …

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