In HEL’BLAR wird ein Dorf überfallen

In Hel`Blar wird ein Dorf überfallen, die Kinder entführt und Nordische Mythologie in eine grandiose Horrorgeschichte verpackt. Der Verlag beschreibt das Album folgendermaßen:

Welcher Feind kann verrückt genug sein, um die schrecklichen Wikinger anzugreifen? Diese Frage stellt sich eine Gruppe von dreizehn Kriegern auf der Suche nach anscheinend unbesiegbaren Kämpfern, die ihr Dorf angegriffen und ihre Kinder entführt haben. Die Antwort werden sie erst nach einer ebenso gefährlichen wie blutigen Jagd finden… Norwegen.

Harek und seine Krieger kehren nach einem Raubzug in ihr Dorf zurück. Als die Drakkar sich der Bucht nähern, hat der Seher Leif eine düstere Vorahnung, die durch die Präsenz seltsamer Nebelschwaden verstärkt wird. Die Nordmänner finden ihr Dorf verwüstet vor, die Mehrzahl der Bewohner wurde bestialisch getötet. Die Überlebenden des Gemetzels berichten, dass Hareks Kinder und seine drei Neffen von den Draugar, den furchterregenden und legendären Kriegern, die aus dem Totenreich zurückgekehrt sind, mitgenommen wurden. Zu allem bereit, schart der Anführer der Wikinger seine tapfersten Gefolgsleute um sich und begibt sich auf die Verfolgungsjagd. [1]

 

Die Macher

Alex und Sergio A. Sierra sind Brüder und kommen aus Spanien, einem Land mit viel Sonne, Wärme und lebensfrohen, ausgelassen Menschen. Vielleicht hatten Sie Lust einen Comic mit genau dem Gegenteil ihrer Lebenswelt zu erschaffen? In der auf zwei Bände angelegten Erzählung geht es um genau das – um lange Winter, Kälte und lebensfeindliche Bedingungen! Willkommen in einer Wikinger-Untoten-Geschichte aus dem hohen, unwirtlichen Norden.

 

Innenseite 1 des Comics Hel`Blar

 

Was mich gereizt hat

Eigentlich bin ich kein Freund von Vampir-, Horror- oder Untoten-Geschichten. Sie haben mich nie gereizt. „Dracula„, „Buffy“ oder „The Walking Dead“ langweilen mich zu Tode, während asiatische Geistergeschichten wie „A Chinese Ghost Story“ das eine oder andere Mal Interesse wecken. Das mag daran liegen, dass ich einen Faible für japanische, chinesische und asiatische Kunst im Allgemeinen habe. Im vorliegenden Fall hätte ich HEL’BLAR wahrscheinlich links liegen lassen … wenn da nicht die großartigen Zeichnungen des Geschwister-Duos Sierra gewesen wären.

Geister, Zombies und Vampire faszinieren die Menschen schon immer und auch nach hunderten von Jahren. Sie spielen sowohl in der Literatur als auch in Filmen und Videospielen zentrale Rollen und treten in unterschiedlichen Formen in Erscheinung. Untote schüren dabei unsere Furcht vor gewaltsamem Tod, der eigenen Vergänglichkeit und vor möglichen Konsequenzen des Lebens im Diesseits. Dunkle Mächte lassen uns auch heute immer noch am Feuer näher zusammen rücken und sorgen für wohlige Schauer. Sie sind ja nicht real. Oder?

Die Menschen früherer Zeiten hatten ein anderes Verhältnis zur Anderswelt, ein weniger wissenschaftliches, mehr mystischeres und mythischeres. Dies trifft besonders auf die nordeuropäischen Völker zu. Länder in denen die Sonne ein halbes Jahr lang kaum den Horizont überschreitet und die Dunkelheit mit ihren Schatten für echte oder vermeintliche Gefahren sorgt.

 

 

Innenseite 2 des Comics Hel`Blar

 

Die Hintergründe der Geschichte

In der nordischen – insbesondere der isländischen – Sagenwelt werden die Helden gerne mit einer besonderen Form der Wiedergänger konfrontiert: den Draugar (Plural) oder dem Draugr (wenn es ein Einzelner ist). Diese Gestalten leben tagsüber in einem Grabhügel weiter und verbreiten nachts aktiv Angst und Schrecken. Sie tun dies auch über größere Entfernungen abseits des Hügels. Die so Verfluchten haben bereits im Leben unsoziales Verhalten gezeigt und sind als Störenfriede aufgefallen.

In einigen Geschichten der Mythologie sind die Draugar in der Lage, die von ihnen Getöteten selbst in Wiedergänger zu verwandeln. Sie haben dann üblicherweise besondere, körperliche Kräfte oder magische Fähigkeiten. Sie können z.B. ihre Größe ändern, schwerer oder leichter werden und sich „in Luft auflösen“. Zu erkennen sind sie an der schwarzen oder auch blauen Farbe ihrer Körper, die dem hier besprochenen Comic auch den Namen gegeben hat. HEL’BLAR bedeutet soviel wie „schwarz wie der Tod“[2].

Zumeist kann man den Draugr besiegen, wenn man ihm den Kopf abschlägt oder ihn weit, weit entfernt von menschlichen Siedlungen erneut begräbt. Fühlen wir uns da nicht alle etwas erinnert? Stimmt, die weißen Wanderer aus der HBO Serie „Game of Thrones„? Ob Köpfen hier funktioniert hat? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Drachenglas war jedenfalls die Waffe der Wahl. Hier nicht. Aber dazu später mehr. Kommen wir zur eigentlichen Geschichte.

 

 

Innenseite 3 des Comics Hel`Blar

Die Geschichte

Harek, Sohn des Tharand und Jarl (Häuptling) von Lagarvik kehrt mit seinen Kriegern von einem Raubzug nach Hause zurück. Sie stellen fest, dass ihr Dorf angegriffen wurde und die Kinder sowie die Neffen von Harek verschleppt wurden. Die wenigen Überlebenden werden von untoten Angreifern erzählen, die im Nebel auftauchten und alle töteten, die sich ihnen in den Weg stellten.

Ein Untoter, der sich immer noch zwischen den teils arg verstümmelten Leichen aufhält, ist ein Vorgeschmack dessen, was Harek und 12 seiner Getreuen erwartet, als er sich entschließt, mit seinen fähigsten Kriegern Jagd auf die Angreifer zu machen. (Und ja, auch ich fühle mich dabei an John McTiernan’s  „Der 13. Krieger“ u.a. mit Antonio Banderas erinnert.)

Valdis, die Heilerin und Seherin des Ortes, befragt die Runen, bevor die Gruppe aufbricht und ergänzt die Verfolger um den „Welpen“ eines treuen Wachhundes, einen „Falken“, der wieder zur Jagd aufbricht, einen alten „Fuchs“, den Harek lieber nicht an seiner Seite hätte und eine „Eule“, die Angst vor der Nacht hat. Der trickreiche Gott Loki wird manchmal mit dem Fuchs assoziert, Eulen symbolisieren Hexen und Zauberer während der Falke u.a. für Geschwindigkeit und Scharfsinn steht.

So verwundert es nicht, dass Valdis Astrid, die Frau von Friedleif, welcher als einziger den Spuren der Angreifer folgt, mit der Gruppe entsendet. Sie ist der Falke. Als Eule wird Leif, der Enkel von Valdis, ausgewählt, der von ihr in den mysthischen Künsten ausgebildet wurde. Und neben dem Sohn (der Welpe) des besten Freundes von Harek bleibt zuletzt der Bruder des getöteten, ehemaligen Jarls von Lagarvik, der rothaarige Hrein (der Fuchs). Was verwundert ist, dass mit dieser Auswahl die Zahl 13 erreicht wird, die Chaos verspricht und kein gutes Omen für die Expedition darstellt.

Die wilde Dreizehn

In der nordischen Mythologie hat die Zahl 13 eine negative Bedeutung, die eng mit dem Gott Loki und dem Tod des Gottes Baldur verbunden ist, dem Gott der Schönheit und der Reinheit. Bei einem Festmahl in Walhalla sind ursprünglich 12 Götter anwesend, bis Loki unerwartet als 13. Gast auf dem Fest erscheint. Sein Auftauchen führt – wie auch nicht anders zu erwarten – zu Chaos und letztendlich zu Baldurs Tod. Dieser tragische Vorfall markiert den Beginn einer Zeit von Dunkelheit und Unheil, die schließlich im Weltuntergang (Ragnarök) gipfelt. Die Zahl 13 wird daher als Symbol für Unordnung und Unglück angesehen, da sie die Zahl 12 überschreitet, die in vielen Kulturen als vollkommen und harmonisch angesehen wird.

Trotzdem ziehen sie gemeinsam  los. Doch bereits bei der ersten Begegnung mit dem echten Feind müssen sie erkennen, dass ihre Kräfte denen ihrer Gegner weit unterlegen sind. Einige der Recken werden diesen brutalen Kampf auf tückischem Eis nicht überleben, obwohl sie nur von einem der fünf schwarzen Krieger gestellt werden. Da möchte man gerne den Rat weitergeben, den Ahmad Ibn Fadlān / Antonio Banderas im oben genannten Film von einem seiner Gefährten erhält: „Wenn Du nicht stark genug bist, werde stärker!“ Aufgeben ist für einen Wikinger schließlich keine Option. Und Harek darf nicht ohne die Kinder ins Dorf zurückkehren, ohne jegliches Vertrauen in seine Führungsqualitäten und seinen Führungsanspruch zu verlieren.

 

 

Innenseite 4 des Comics Hel`Blar

 

 

Die Charaktere

Insgesamt wird der Spannungsbogen gut gehalten, auch wenn die Storyline selbst recht gradlinig verläuft und die wenigen Wendungen nicht überraschend sind. Die Atmosphäre der Erzählung ist gerade deshalb stimmig. Sergio A. Sierra vermeidet erzählerische Winkelzüge und hält die Leser stattdessen lieber bei der Stange, indem die Wikinger eben nicht als Musketiere präsentiert. Es gibt keine „Einer für Alle und Alle für Einen!“-Parolen.

Stattdessen schwächen Zwistigkeiten, Machtkämpfe und Misstrauen untereinander die Gruppe. Hrein hadert mit Harek, weil der seinen Bruder Einar tötete, dem prophezeit wurde, dass er einmal König sein würde und er – Hrein – damit ebenfalls in höchste Ränge aufgestiegen wäre. Das Einar ein machthungriger, sadistischer Dreckskerl war, ist für ihn nebensächlich. Im Nachgang zu diesem schicksalhaften Kampf ist Hrein zwar zum Säufer mutiert, gleicht aber mit Köpfchen aus, was ihm an Körperkraft fehlt.

Leif, der Zauberer, welcher von seiner Großmutter auf die Reise entsandt wurde, macht die umfangreichste Charakterentwicklung durch. Zu Beginn ist er der Lehrling der Alten, der von allen nur als Feigling betrachtet wird. Er beteiligt sich nicht an den üblichen, wilden Raufereien und bekämpft die Angreifer nicht mit Schwert oder Axt. Im Laufe der Geschichte werden seine Kenntnisse jedoch vielfach auf die Probe gestellt und sein Selbstvertrauen und seine Hingabe wachsen. Auch die Anderen müssen mit der Zeit anerkennen, dass er ein wertvolles, wenn nicht gar unverzichtbares Mitglied ihrer Gruppe ist.

Die verschiedenen Motivationen der Protagonisten zu dieser Heldenreise sind zwischen Angst um den eigenen Partner (Astrid) über Bestätigung des eigenen Herrschaftsanspruchs (Harek) über eine notwendige, mystische Unterstützung (Leif) bis hin zu purem Eigennutz (Hrein) angesiedelt und für den Leser sehr gut nachvollziehbar.

Gut recherchiertes Worldbuilding

Auch das Worldbuilding zeugt von einer guten Recherchearbeit der Autoren zu Lebensart und Glauben der Wikinger zur damaligen Zeit. Die Bedeutung der Runen für das diesseitige und das jenseitige Leben, ihre Anwendung im Kampf gegen die Untoten auf den Waffen der Jäger ist gut in Szene gesetzt und entspricht dem – weiter oben bereits angesprochenen – Drachenglas in Game of Thrones.

Auch wird über Astrid die teilweise gleichberechtigte Stellung der Frauen in der Wikingergesellschaft schön herausgestellt. Hier gibt es kein „Bleib-Du-Mal-Schön-Zu-Hause-Am-Herd“-Geplänkel. Im Gegenteil. Einige sind sehr froh, die Berserker-Töterin mit an Bord zu haben.

 

Innenseite 5 des Comics Hel`Blar

 

Die grafische Umsetzung

Die Zeichnungen von Alex Sierra haben eine großartige, dynamische und kraftvolle Strichführung. Dies gilt sowohl für die ruhigeren Szenen, als auch für die Aktion-Sequenzen. Die einzelnen Charaktere sind sehr gut über ihre jeweiligen Eigenheiten zu unterscheiden. In der Kolorierung spiegelt sich der hohe Norden mit eisigen Blau- und Grau-Tönen. Dies suggeriert Kälte und Lebensfeindlichkeit und bereitet dem Leser eine Gänsehaut.

Sergio A. Sierra’s Kameraführung zwischen Groß- und Nahaufnahmen, zwischen normalem Panel und Inset-Panel ist sehr dynamisch und abwechslungsreich. Sie zeugt von einem kenntnisreichen Verständnis sequentieller Erzählkunst und transportiert stimmig die jeweilige Phase der Geschichte.

Das Pacing der Handlung ist gut. Der Einstieg in die Geschichte holt den Leser bei der Einfahrt in der Fjord ab, bevor die wahre Action losbricht. Der Wechsel zwischen aktionsreichen und ruhigen Sequenzen ist im Folgenden gut austariert, begünstigt durch das Setting: Männer im Wald. Bei 56 Seiten bleibt da wenig Zeit für ausführliche Männergespräche.

 

Innenseite 6 des Comics Hel`Blar

 

Ein wenig Kritik

Was gibt es zu kritisieren? Manchmal ist die – eigentlich gute – deutsche Übersetzung „unzeitgemäß“ z.B. „Es fehlte eine Frau an der Spitze dieser Machos!“ auf Seite 20. Auch wenn das Wort „Macho“ seinen Ursprung im Lateinischen „masculus“ hat, können wir annehmen, dass es seinen Weg kaum in die Alltagssprache der Nordmänner des frühen Mittelalters gefunden hat.

Darüber hinaus hätten größere Schrifttypen der Lesbarkeit der Texte an der einen oder anderen Stelle gut getan. Aber hier hat – wie üblich – die Übersetzung ins Deutsche wahrscheinlich wieder eine Rolle gespielt. Was im Original passt, ist in der Übersetzung vielfach zu umfangreich und kann kaum sinnvoll eingekürzt werden. Also arbeitet der Letterer zwangsweise über die Schriftgröße.

Einige Erklärungen zur nordischen Mythologie ist in den Panels selbst statt unterhalb zu finden. Darunter leidet die Lesbarkeit. Auch das ist ein weiteres Manko.

Humor sucht man vergebens. Gut, es ist eine Vampir-Horror-Geschichte. Aber selbst die rauen Burschen aus dem hohen Norden hatten nach einem Kampf sicherlich hier und da einen Scherz auf den Lippen. Nur halt nicht bei HEL’BLAR.

Das Fazit

Insgesamt hat mir die abgeschlossene Geschichte um Harek und seine Begleiter gut gefallen. Die Brüder Sierra waren mir bislang kein Begriff. Aber im Segment mystisch-historischen Geschichten haben die Spanier eine unterhaltsame Arbeit abgeliefert. Die kurzweilige Unterhaltung für zwischendurch ist garantiert. Die Art und Qualität der Zeichnungen erinnert an die Comics der 80er Jahre, als sich die Künstler noch Zeit für ihre Projekte nehmen konnten. Keine fordernde Verlagsredaktion saß ihnen im Nacken. Auch verstärkten keine digitalen Zeichenmittel den Hang zur Fließbandarbeit.

Im Nachwort des zweiten Bandes – und dem Ende des Zyklus – lassen die Autoren wissen, dass sie für ihre Wikinger noch eine Menge spannender Abenteuer bereithalten. Zumindest für die, die überlebt haben. Das war 2018 nach einem erfolgreichen Crowdfunding des zweiten Bandes. Auch wenn seither bereits einige Jahre ins Land gegangen sind, besteht zumindest geringe Hoffnung, dass die spanischen Brüder noch einmal in den hohen Norden zurückkehren. Mich würde es jedenfalls freuen.

P.S. In der nordischen Mythologie war die Wahrscheinlichkeit, das ein Toter als Draugr zurückkehrte größer, wenn er / sie im Sitzen bestattet wurde. Zieht nach dieser Geschichte aus dieser Erkenntnis eure eigenen Schlüsse zum Plot.

P.P.S. In Island feiert man heute – am ersten Sonntag des Juni – mit Sjómannadagurinn übrigens den Ehrentag der Seeleute. Und das passt doch ganz gut zu dieser Geschichte, nicht wahr?


HEL’BLAR – Die Jäger der Draugar

© All Verlag | Hardcover | 56 Seiten | Farbe
Storyline:  ★★★★☆
Zeichnungen:  ★★★★★
Lettering:  ★★★☆☆
Humor:  ☆☆☆☆☆
Meine persönliche Bewertung: ★★★★☆

ISBN: 978-3-946522-20-1

Informationen zu den Bildrechten findest Du hier.

[1] Verlagsbeschreibung

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